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Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)

Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)

Titel: Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)
Autoren: Stephan Ludwig
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nicht nur bullig, er war regelrecht quadratisch . Zorn schätzte, dass er spätestens in zehn Jahren ein dicklicher, untersetzter Kerl mit dünnem Haar sein würde. Im Moment allerdings schien er ausschließlich aus Muskeln zu bestehen. Und sehr wenig Hirn, setzte Zorn in Gedanken hinzu.
    »Was soll die Scheiße?«, fragte Zorn. Sie standen mitten auf dem Parkplatz, ein dicker schwarzer BMW näherte sich langsam. Er trat einen Schritt zurück, um den Wagen vorbeizulassen.
    »Du gehst mir auf den Sack, Opa.« Der Junge kam näher und sah zu Zorn auf. Winzige Schweißtropfen hatten sich auf seiner Stirn gebildet. Er roch nach Knoblauch und feuchter, ungewaschener Bettwäsche. Zorn nahm die Sonnenbrille ab und erwiderte den Blick. Das hatte er irgendwo gelesen. Wo genau, wusste er nicht, wahrscheinlich in einer der unzähligen polizeilichen Richtlinien zur Gewaltprävention. Vielleicht auch im Ratgeberteil einer Frauenzeitschrift: Behalten Sie Ihren Gegner im Visier. Treten Sie selbstsicher auf und lassen Sie sich Ihre Angst niemals anmerken.
    Nun, Angst hatte er nicht, aber unwohl fühlte er sich schon.
    »Du stinkst, Dicker«, meinte Zorn. »Wann warst du das letzte Mal unter der Dusche?«
    »Pass auf, was du sagst, du Opfer.«
    Das war in breitem Sächsisch vorgetragen ( Passuffwasdesagstduopfa ) und klang fast erfreut. Und es war klar, warum das so war: Der Kerl suchte nach einem Grund, um zuschlagen zu können. Den hatte er jetzt. Er kam einen Schritt näher.
    Zorn spürte, wie sich ein heißer Klumpen in seinem Magen bildete. Wann hatte er sich das letzte Mal ernsthaft geprügelt? Vor dreißig Jahren? Das war in der fünften Klasse gewesen, damals hatte er einen Mitschüler, den gutmütigen, aber etwas zurückgebliebenen Robert Hieber so lange gehänselt, bis dieser ihm in seiner Verzweiflung die Schnalle seines Schulranzens in den Handballen gerammt hatte. Die Narbe hatte Zorn noch immer.
    Ich werde vor diesem schwitzenden Jungbullen garantiert nicht klein beigeben, dachte er und sagte: »Du bist entweder besoffen oder beknackt, Schwabbelkopf. Ich tippe allerdings eher auf Letzteres.«
    Der Jungbulle grinste und versetzte Zorns Einkaufstasche einen Tritt. Sie kippte um, und Zorns mühsam erworbenes Obst holperte über den heißen Asphalt.
    »Ups!«, sagte er gedehnt und verschränkte die Arme vor der Brust. Zorn sah, wie die Muskeln unter seinem Bizeps vibrierten.
    Die Türen des Supermarkts öffneten sich. Ein blonder, schlanker Junge trat heraus, in der linken Hand hielt er ein Sixpack mit Jever. Mit der anderen schirmte er das Gesicht gegen die Sonne ab und sah sich suchend um. Als er sie erblickte, stöhnte er auf. Er schien zu wissen, was hier vor sich ging, denn er rief: »Lass den Scheiß, Udo!«
    »Halts Maul, Max«, rief der, der Udo hieß, über die Schulter. Er ließ Zorn keine Sekunde aus den Augen. »Der Typ hat mich angemacht!«
    »Jetzt reicht’s, du Nuss!« Zorn verlor die Geduld und ging zum Angriff über. Beziehungsweise zu dem, was er dafür hielt. »Verzieh dich, solange du noch kannst, ich hab schon ganz andere Typen als dich auseinandergenommen!«
    Dies war nun die vierte und letzte Lüge des Claudius Zorn an diesem Donnerstag, dem 2. August. Eigentlich nichts Besonderes, denn er log oft. Doch dieser Tag war in anderer Beziehung ungewöhnlich: Wie er später feststellen sollte, war dies das erste Mal in seinem Leben, dass eines seiner Gebete erhört wurde (wenn auch mit einiger Verspätung). Noch vor wenigen Minuten hatte er Gott angefleht, er möge ihn ohnmächtig werden lassen.
    Und der liebe Herrgott tat ihm den Gefallen, wenn auch in einer Form, mit der Zorn nicht gerechnet hatte.
    Der Junge holte aus und verpasste ihm einen heftigen Leberhaken, dem ein Tritt in den Magen folgte. Zorn spuckte kurz und sackte zusammen.
    »O Herr, du bist ein unberechenbares Arschloch«, dachte er noch.
    Dann wurde ihm schwarz vor Augen.

Vier
    Auf dem Küchentisch lagen eine Birne, eine Kiwi und eine Zigarette. Draußen war es bereits hell, es war sieben Uhr morgens. Tief unten duckte sich die Stadt, als bereite sie sich auf den Ansturm eines neuen, heißen Tages vor. Davon bekam Claudius Zorn nichts mit, er saß in der Küche, hatte das Kinn auf die linke Hand gestützt und betrachtete die Dinge auf seinem Tisch.
    Ich habe mich also zusammenschlagen lassen, dachte er und rieb sich gähnend das verschlafene Gesicht. Von einem Kerl, der locker mein Sohn sein könnte. Und damit nicht genug: Er war auch
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