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Zorn und Zärtlichkeit

Zorn und Zärtlichkeit

Titel: Zorn und Zärtlichkeit
Autoren: Johanna Lindsey
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beunruhigte es ihn, dass er nicht wusste , wo er sich befand. Das letzte, woran er sich erinnern konnte, war der Fergusson-Trupp, der ihn plötzlich überwältigt hatte - wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Natürlich musste er sich eingestehen, dass er nicht auf seine Rückendeckung geachtet, sondern auf den Teich gestarrt hatte - um wie ein Narr auf das schönen Mädchen zu warten, das seit jenem Morgen seine Gedanken und Träume beherrschte. Wäre er nicht vom Pferd gestiegen und wie ein Schlafwandler zum Ufer geschlichen, hätten sie ihn niemals umzingelt und über den Schädel geschlagen, bevor er sein Schwert ziehen konnte.
    Er war also gefangengenommen worden. Jetzt wusste er, warum es hier so muffig und feucht roch. Er lag in einem Verlies, zweifellos im Tower Esk. Jamie musste beinahe lachen. Nun erlitt er die verdiente Strafe für seine Dummheit. Wie ein liebeskranker Jüngling war er während der letzten Monate ein dutzendmal in die Talsenke geritten - in der Hoffnung, die schöne Nixe nur noch ein einziges Mal zu sehen und herauszufinden, wie sie hieß. Aber sie hatte sich nie mehr blicken lassen. Zweifellos stimmte seine Vermutung, dass sie eine Bettlerin auf der Wanderschaft war. Er würde sie nie wieder zu Gesicht bekommen.
    Wie schon so oft, war er auch diesmal allein zum Teich geritten.
    Nicht einmal sein Bruder wusste , welche Richtung er eingeschlagen hatte. Wie tief ihn das fremde Mädchen beeindruckte, war sein Geheimnis, denn es hatte ihm widerstrebt, sich irgend jemandem anzuvertrauen. Also würden einige Tage verstreichen, bevor sein Bruder anfing, sich Sorgen zu machen. Und auch dann würde niemand erraten, dass er in einem Fergusson-Verlies lag.
    Wie lange würde er hier schmachten müssen, bevor ihm der alte Dugald die Freiheit wiederschenkte? Jamie bezweifelte nicht, dass man ihn laufenlassen würde. Dugald konnte es sich unmöglich leisten, einen MacKinnion gefangenzuhalten. Selbst wenn er erfuhr, wer Jamie war, würde er ihn aus diesem finsteren Loch holen müssen.
    Holz knarrte über seinem Kopf und riß ihn aus seinen Betrachtungen. Die Falltür hatte sich geöffnet. Wenn er das nicht klar und deutlich gehört hätte, wären ihm ernsthafte Zweifel an seinem Verstand gekommen, als eine hohe Koboldstimme wisperte: »Seid Ihr wirklich ein MacKinnion?«
    Es war eine körperlose Stimme. Ringsum herrschte immer noch schwarzes Dunkel. Kalte, frische Luft wehte zu Jamie herab, die er erleichtert in seine Lungen sog, bevor er entgegnete: »Ich weigere mich, mit jemandem zu reden, den ich nicht sehe.«
    »Ich wage es nicht, ein Licht herunterzubringen. Man könnte mich erwischen.«
    Offenbar war es ein Kind, das über der Falltür kauerte.
    »Nun, dann solltest du lieber wieder verschwinden. Es wäre gar nicht gut, wenn man dich im traulichen Gespräch mit einem MacKinnion ertappt.«
    »Also seid Ihr wirklich einer?«
    Jamie gab keine Antwort. Die Falltür wurde rasch geschlossen und öffnete sich wenige Minuten später wieder. Ein kleiner runder Kopf mit dichtem, dunkelroten Haar spähte durch den schmalen Spalt. Das schwache Licht einer Kerze schien in das Verlies herab, und Jamie stellte fest, dass er in einem tiefen Erdloch lag, das etwa zwei Meter im Durchmesser maß. An den Wänden hätte er vielleicht hochklettern können, doch die kleine Falltür war in die Mitte der Holzdecke eingelassen, und selbst wenn er sie erreichen sollte, würde sie zweifellos von außen verriegelt sein.
    Jamie hatte solche Verliese schon mehrmals gesehen. Sie waren äußerst praktisch, weil man keine Wächter vor den Eingängen postieren musste und die Gefangenen unmöglich entkommen konnten. Er hätte einen Kerker mit Steinwänden bevorzugt. Dann wäre die Luft nicht so stickig gewesen, und er hätte zumindest ein bißchen Licht gehabt.
    »Ihr habt Euer Essen stehenlassen.«
    Jamie setzte sich langsam auf, lehnte sich an die Wand und preßte die Hände an seinen schmerzenden Kopf. »Ich habe kein Essen gesehen.«
    »In dem Sack - gleich neben Euch. Sie haben es einfach runtergeworfen. Es ist eingepackt, damit sich die Wanzen nicht darüber hermachen können.«
    »Wie fürsorglich...«Jamie griff nach dem Sack und öffnete ihn, um ein Stück Haferbrot und einen halben kleinen Birkhahn herauszunehmen - eine anständige Mahlzeit für einen Bauern, aber er war etwas Besseres gewöhnt. »Wenn das alles ist, was die Gefangenen hier bekommen, werde ich wohl fliehen müssen, um was Ordentliches zwischen die Zähne zu
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