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Zorn: Thriller (German Edition)

Zorn: Thriller (German Edition)

Titel: Zorn: Thriller (German Edition)
Autoren: Arne Dahl
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verriet, dass sie es wiedererkannte. Während sie es Paul Hjelm reichte, begriff auch er, dass es sich um jenes Handy handelte, das sie von der Ostsee bis zum Mittelmeer verfolgt hatten, von Stockholm bis nach Nizza und noch etwas weiter. Es war das Handy, von dem aus eine SMS an den Kleinkriminellen Taisir Karir in Stockholm und eine weitere an den Drogendealer Armand Jonquet in der Bucht vor Nizza gesendet worden war. Und auf dem nun eine SMS empfangen worden war.
    Hjelm las. Die Mitteilung war einfach und klar. Sie lautete: »Ich habe hinsichtlich der Zeit gelogen. Sorry. Aber es war nötig. W«
    Paul Hjelm blickte auf die schwache Rauchsäule, der sie sich näherten. Jetzt betrachtete er sie mit anderen Augen. Es war der Rauch, den Odysseus über der Zyklopeninsel aufsteigen sah.
    Es war der Rauch aus der brennenden Fabrik auf Capraia.
    Capraias karge Konturen erhoben sich unter ihnen aus dem Meer. Der Rauch kam von der Westküste der Insel und schien in feinen Fäden aus einer Anzahl von Grotteneingängen aufzusteigen, die sich zu einer Rauchsäule verflochten.
    Bevor der Hubschrauber zur Landung ansetzte, machte er einen Schwenk nach Osten, sodass für einen kurzen Moment das Gefängnisgebäude von La Mortola sichtbar wurde. Dann verschwand es wieder, und der Pilot landete den Hubschrauber sicher auf einer ebenen Fläche neben den steilen Felsklippen der Westküste.
    Sie stiegen nicht weit entfernt von der Rauchsäule aus, die sich in ungefähr zehn Metern Höhe aus den einzelnen Rauchschwaden formte. Die Brandherde lagen etwa zwanzig Meter unter ihnen. Einige der Grotteneingänge befanden sich auf Höhe des Meeresspiegels. Angesichts der einzelnen Rauchschwaden, die aus den Öffnungen aufstiegen, schien es sich um ein unterirdisches, mittels Gängen miteinander verbundenes System zu handeln. Eine unterirdische Fabrik. Eine Anlage, die jahrzehntelang im Geheimen betrieben wurde. Und jetzt löste sie sich in Rauch auf, wurde vernichtet, zu genau der Unsichtbarkeit verdammt, die einst ihre absolute Bedingung, ihre einzige Existenzform gewesen war. Und nichts von ihr würde übrig bleiben.
    Hier hatte Spitzenforschung stattgefunden, außergewöhnliche Spitzenforschung, erst unter internationaler militärischer Regie, dann unter privater Regie, für kommerzielle Zwecke, und das, was sich darin befunden hatte, in all den Gängen, all den geheimen Archiven, alle Ergebnisse, ja sogar alle Endprodukte, all das war vernichtet, war ausgelöscht worden.
    Arto Söderstedt stellte sich neben Paul Hjelm genau an die Felskante. Er schnupperte den Brandgeruch und schüttelte dann den Kopf. »Nein«, sagte er.
    »Nein«, bestätigte Paul Hjelm.
    »Papier«, schätzte Söderstedt. »Holz. Plastik.«
    »Möglicherweise gewisse Chemikalien«, ergänzte Hjelm.
    »Aber kein ... «, meinte Söderstedt.
    »Nein«, stimmte Hjelm ihm zu. »Kein verbranntes Fleisch.«
    »Gut«, erwiderte Söderstedt und ging zurück in Richtung Hubschrauber.

6 – Windstille

Reditus domum
Stockholm – Den Haag, 2. Juni
    Er wanderte durch dunkle Korridore. Obwohl er sich im siebten Stock befand und das helle skandinavische Licht des Frühsommermorgens durch jedes Fenster drang, kam er sich vor wie in einem Kellergang, einem Gefängniskorridor. Wie auf der Insel If vor Marseille. Es fehlte nur noch eine karge Gefängniszelle.
    Doch in ein Gefängnis war er nun wirklich nicht gekommen. Zwar war die Person im Zimmer allein und auch nicht gerade in bester Verfassung, aber sie befand sich immerhin auf dem Weg der Besserung. Trotz allem.
    Obwohl man ihr ein Messer in den Leib gerammt hatte, das einen Zentimeter vor ihrem Herzen aufgehalten worden war, wider alle Erwartungen.
    Sie schlief. Die Schläuche, die in ihren Körper führten, ließen sie sehr zerbrechlich wirken. Aber der Blick aus ihren blaugrauen Augen, die sie im selben Moment aufschlug, als er im Besucherstuhl Platz nahm, war glasklar.
    Sie sah ihn an, ohne eine Wort zu sagen. Er erwiderte ihren Blick ebenso stumm. Plötzlich kam er sich wie ein Schuft vor, der geradewegs aus der toskanischen Inselwelt hergeeilt war, wie ein braver Junge in der Hoffnung auf Anerkennung – oder Vergebung. Ihm war diese Idee gekommen, als er während des Rückflugs im Hubschrauber gemeinsam mit seinen Kollegen große Mengen Malt Whisky getrunken hatte. Als hätten sie es alle absolut nötig gehabt.
    Schließlich sagte sie: »Arto Söderstedt.«
    Er nickte und entgegnete: »Marina Ivanova.«
    Dann schwiegen sie
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