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ZITRONENLIMONADE (German Edition)

ZITRONENLIMONADE (German Edition)

Titel: ZITRONENLIMONADE (German Edition)
Autoren: Marleen Reichenberg
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übernommen, die mich aus
unerfindlichen Gründen nie leiden konnte. Mit Karacho stach sie zu, dass das
Blut nur so spritzte.
    Als sanftmütige gewaltlose Zeitgenossin
hätte ich das weder bei ihr und noch viel weniger bei mir selber fertig
gebracht. Aber sollte ich hier durch "ärztliche Hilfe" tatsächlich
süchtig werden, wäre vermutlich die Gier nach der nächsten Drogenration größer
als die Zimperlichkeit, mich selbst mit einer Nadel zu stechen…
      Abrupt kehrte ich aus meiner Zukunftsvision
als obdachlose Fixerin in die Gegenwart zurück, als der Arzt der Schwester
gegenüber entschied, "wir nehmen sie   von der Pumpe ab und spritzen nur bei Bedarf Schmerzmittel über den
Zugang". Stillschweigend (anders ging gerade nicht) dankte ich ihm dafür. Wenigstens
waren dann andere für mein Abrutschen in die Drogen-Szene verantwortlich!
    War ich wach, spielte ich die Heldin
und ertrug stoisch das Hämmern in meinem Kopf, bis es schier unerträglich wurde,
bevor ich nach meiner nächsten Schmerzdrogenration klingelte. Mit Blick auf die
Uhr an der gegenüberliegenden Wand vergrößerte ich die Abstände zwischen den
Spritzen, obwohl das Personal damit äußerst großzügig umging und mir manche
Schwestern einreden wollten, ich bräuchte meine Ration gleich jetzt und nicht
erst in einer halben Stunde. Da ich in den ersten Tagen keine Chance hatte,
mich verbal zu wehren, bekam ich beim Dienst der Übereifrigen wesentlich öfter
als gewollt meine Spritze   verpasst. Leuchtete
mir aus deren Sichtweise sogar vollkommen ein: Patienten mit Schmerzen sind im
Normalfall unruhige und damit pflegeintensivere Fälle. Klingeln dauernd,
jammern herum und kosten viel Zeit. Die Schwestern und Pfleger konnten ja nicht
ahnen, dass es tatsächlich Masochisten wie mich gab, die den Schmerz freiwillig
länger ertragen wollten.
    Der Grund für diese bei mir eher
atypische Selbstdisziplin in Sachen Schmerz lag darin, dass ich Halluzinationen
hatte. Seit zwei Tagen sah ich ständig silbrige Spinnweben an der weißen
Zimmerdecke schweben, gottseidank ohne die dazugehörigen Bewohner, sonst wäre
ich hysterisch geworden. Man stelle sich nur vor, diese würden sich an
klebrigen Fäden zu mir herunterlassen und auf mir herumkrabbeln, ohne dass ich
ihnen nennenswert ausweichen könnte!!
    Mir war gleichzeitig klar, dass das
Vorhandensein von Spinnennetzen dieser Größe und Häufigkeit – gerade in der
Intensivstation eines Krankenhauses – nur eine „Fata Morgana“ meinerseits
sein   konnte. Weiteres Indiz dafür, dass
ich unter visuellen Wahnvorstellungen litt, bestand darin, dass ich immer mal
wieder auf meinem Bettgalgen (ist nicht etwa ein Hilfsgerät zum Beseitigen
hoffnungsloser Fälle, sondern ein kleiner Trapezgriff an einer Stange über dem
Kopfteil, der kraftlosen Patienten beim Aufrichten im Bett hilft)   Mickymaus Figuren   erblickte. Die hatten etwa die Größe meines
Daumens und beugten sich mit seltsam eckigen Bewegungen zu mir herab. Hören
konnte ich Micky, Donald und Goofy nicht (gottseidank, ansonsten hätte ich
ernsthafte Zweifel an meinem Geisteszustand gehabt), aber dafür deutlich sehen.
Gleichzeitig wusste ich, dass dies eindeutig mit den Schmerzmitteln zusammen
hängen musste. Immer kurz nach einer neuen Portion „Lani“ traten diese
Erscheinungen auf. Endgültige Gewissheit darüber erlangte ich zufällig von
Assistenzarzt   Dr. Grüne, einem
besserwisserischen Unsympath und Streber, der sich mit einer jungen Lernschwester
neben meinem Bett unterhielt oder besser, sie von oben herab belehrte.
     
      Aus
diesem Gespräch lernte ich unter anderem, dass ich einen Schlaganfall erlitten hatte.
Dachte ja zunächst, ich hätte mich verhört oder er spräche von einer anderen
Patientin. Hey, ich bin erst Dreißig, wollte   ich ihm zu rufen, Schlaganfälle bekommen Leute
jenseits der Siebzig. Bis dahin habe ich doch noch etwas hin! Wie sich aber heraus
stellte, gibt es zwei Arten von Schlaganfällen, einmal die häufigere Art durch
einen Gefäßverschluss oder eben die seltenere Möglichkeit einer Blutung. Bei
mir war es eine Blutung gewesen, ausgelöst durch eine angeborene
Gefäßmissbildung. An einer Gehirnblutung sterben sechzig bis siebzig Prozent
der Patienten, nur etwa zehn Prozent überleben unversehrt, der Rest mit teils
schweren neurologischen Ausfällen wie beispielsweise Halbseitenlähmung und
/oder Sprachverlust (Na   bravo,
Christina, da hast du ja mal wieder in die Vollen gegriffen).  
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