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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind
Autoren: John Irving
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waren die Patels in die Wohnung am Marine Drive eingezogen
– angeblich, um sich um die alten Dienstboten zu kümmern.
    In einem von mehreren
fehlerlos getippten Briefen teilte Kommissar Patel Dr. Daruwalla mit, daß sich die
betagten Dienstboten der Daruwallas auch weiterhin die Treppen hinauf- und hinunterquälten,
obwohl das anstößige Schild im Aufzug nicht erneuert worden war – nachdem es ein
zweites Mal entwendet worden war. Die alte Regelung war Nalin und Roopa in Fleisch
und Blut übergegangen; sie war so fest verwurzelt, daß sie jedes Schild überdauern
würde. Das alte Ehepaar weigerte sich von sich aus, den Lift zu benutzen, eine tragische
Konditionierung, gegen die nichts zu machen war. Die Hausbewohnergemeinschaft hatte
dem Detective den Auftrag erteilt, den Schuldigen ausfindig zu machen. Aber er mußte
zugeben, daß ihm der Dieb zutiefst sympathisch war. Dem Doktor vertraute er an,
daß er mit der Lösung des Falles nicht sonderlich gut vorankam, aber den Verdacht
hegte, daß der zweite Dieb Nancy war – nicht Vinod.
    Die anhaltende Ruhestörung
im Apartmenthaus, die von den Hunden im ersten Stock ausging, erfolgte stets zu
einer unchristlichen Zeit in den frühen Morgenstunden. Die Bewohner der ersten Etage
behaupteten, die Hunde würden von einem allseits bekannten, gewalttätig aussehenden,
zwergwüchsigen Taxifahrer – dem ehemaligen »Chauffeur« von Dr. Daruwalla und dem
pensionierten Inspector Dhar – vorsätzlich zum Bellen angestachelt, aber Detective
Patel neigte dazu, die Schuld auf [954]  diverse herumstreunende Bettler von der Chowpatty
Beach zu schieben. Selbst nachdem an der Tür zur Eingangshalle ein Schloß angebracht
worden war, wurden die Hunde gelegentlich rebellisch. Die Bewohner des ersten Stocks
behaupteten hartnäckig, es sei dem Zwerg gelungen, sich widerrechtlich Zugang zur
Halle zu verschaffen; einige behaupteten auch, sie hätten einen schmutzigweißen
Ambassador wegfahren sehen. Aber der Kommissar nahm alle diese Aussagen mit Vorbehalt
zur Kenntnis, denn die Hunde im ersten Stock bellten auch im Mai 1993 – über einen
Monat nach den Bombenattentaten in Bombay, bei denen mehr als zweihundert Menschen
ums Leben kamen, unter ihnen auch Vinod.
    Die Hunde bellen
immer noch, schrieb Detective Patel. Farrokh war überzeugt, daß Vinods Geist der
Übeltäter war, der sie aufscheuchte.
    An der Tür der Gästetoilette
im Haus der Daruwallas in der Russell Hill Road hing das Schild, das der Zwerg für
sie gestohlen hatte und das bei ihren Torontoer Freunden hervorragend ankam.
    DEM DIENSTPERSONAL IST ES VERBOTEN,
– AUSSER IN BEGLEITUNG VON KINDERN –
DEN AUFZUG ZU BENUTZEN
    Rückblickend
erschien es grausam, daß der ehemalige Clown den schrecklichen Unfall mit der Wippe
im Great Blue Nile überlebt hatte. Allem Anschein nach hatten die Götter mit seinem
Schicksal gespielt – daß er von einem Elefanten auf die Zuschauertribüne katapultiert
worden war und es dann als Privattaxiunternehmer zu einer gewissen lokalen Berühmtheit
gebracht hatte, mutete ein bißchen trivial an. Und daß der Zwerg Martin Mills aus
den Fängen jener gewalttätigen Prostituierten gerettet hatte, erschien rückblickend
wie ein burlesker [955]  Hokuspokus. Dr. Daruwalla empfand es als massive Ungerechtigkeit,
daß Vinod bei dem Bombenanschlag auf das Gebäude der Air India getötet worden war.
    Am Nachmittag des
12. März 1993 explodierte eine Autobombe auf der Zufahrt zu dem Gebäude, nicht weit
von den Räumen der Bank von Oman entfernt. Auf der Straße wurden Passanten getötet;
in der Bank, die den Teil des Air-India-Gebäudes einnahm, vor dem die Explosion
stattfand, wurden weitere Personen getötet; die Bank selbst wurde zerstört. Wahrscheinlich
wartete Vinod auf einen Fahrgast, der etwas in der Bank zu erledigen hatte. Der
Zwerg hatte am Steuer seines Taxis gesessen, das er unglücklicherweise neben dem
Fahrzeug mit der Autobombe geparkt hatte. Nur Kommissar Patel vermochte zu erklären,
warum überall auf der Straße so viele Squashschlägergriffe und alte Tennisbälle
verstreut lagen.
    An der Air-India-Reklametafel
über dem Gebäude befand sich eine Uhr; noch zwei oder drei Tage nach der Explosion
standen die Zeiger auf 2 Uhr 48. Unwillkürlich stellte sich Dr. Daruwalla die Frage,
ob Vinod wohl auf die Uhrzeit geachtet hatte. Der Kommissar deutete an, daß der
Zwerg auf der Stelle tot gewesen war.
    Patel berichtete
auch, daß die kläglichen Vermögenswerte von Vinods Blue
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