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Zigeunerstern: Roman (German Edition)

Zigeunerstern: Roman (German Edition)

Titel: Zigeunerstern: Roman (German Edition)
Autoren: Robert Silverberg
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Obertönen in jener Zeit, verschwommen-katholisch, aber vor allem ›anti-tschechisch‹) kaum jemals ausgesprochen ›rassistische‹ Sätze fielen. Die üblichen Vorurteile aber dürfte es gegen ›das faule tschechische‹ Dienstmädchen gegeben haben (eine Frau, die ich nun besonders liebte), gegen die ›russischen Untermenschen‹, gegen die ›schleimigen Katzimacher‹ (die italienischen Verbündeten des Mussolini-Regimes). – ›Zigeuner‹ wurden in meiner vor-umbruchlichen Kindheit nicht erwähnt. Es scheint sie in Böhmen nicht mehr gegeben zu haben … Juden wurden nur als ›exzellente Ärzte‹ erwähnt – mit einer merkwürdig giftigen Art von Hochachtung … Also könnte ich nicht behaupten, meine Familie sei besonders rassistisch gewesen.
    Fragen stellte ich erst später, als man mich aus meiner Heimat vertrieben hatte und mich die Kinder in der Schule als ›Zigeuner‹ beschimpften. Daraufhin freundete ich mich mit ein paar ebenso braunhäutigen und dunkelhaarigen (wie meine anderen Schulkameraden es waren) ›Zigeunerkindern‹ an, die mich hellhäutigen Blonden, Auch-Außenseiter nicht als Bastard bezeichneten. Dies war in einem Ort, an dem sich (wie man mir erzählte) der ›spontane deutsche Volkszorn‹ in der sogenannten ›Reichskristallnacht‹ genau eine Woche vor den Ausbrüchen im übrigen ›Reich‹ entlud. Also gab es in meiner Jugend dort keine Juden mehr. Die ›Zigeuner‹ und die ›Flüchtlinge‹ waren an ihre Stelle getreten.
    Frühe Prägungen haften bekanntlich besonders stark; und so habe ich weder die sture hartherzige Knauserigkeit vieler ›Heimat-Besitzer‹ noch die fröhliche großmütige Herzlichkeit ›meiner‹ Zigeunerkinder jemals vergessen. Weil dies so ist, möchte ich hier stolz und mutig sharipen ausdrücken. Ich danke der Baba Dai Manisch (obwohl sie wahrscheinlich nicht mehr lebt) und den moros, die mich in ihrem Wagen zwei Wochen lang durch Südfrankreich mitnahmen – umsonst; verzeiht, dass mein patshiv damals nicht üppiger sein konnte, ich war noch ärmer als ihr! Ich danke dem berühmten Geiger Toki H. dafür, dass er mit seinen Freunden einmal eine ganze Nacht lang für mich als einzigen Gast musizierte, um meine ›Trauer fortzuspielen‹, als es mir sehr schlecht ging. Vor allem aber danke ich Jesús G. für die kleine Zeit und die große Erkenntnis, die er mir schenkte. Ihr werdet dies wohl nicht lesen – teilweise weil ihr nicht Deutsch, bzw. überhaupt nicht lesen könnt. Also grüße ich zu eurem Gedenken alle Cinti und Roma und bitte sie: Versucht den Gadsche zu verzeihen, dass sie euer Volk verfolgen, dass sie euch gefoltert, getötet, missbraucht haben, das heißt – wenn ihr ihnen verzeihen könnt! Aber wehrt euch dagegen, dass sie euch immer weiter verachten, kriminalisieren, hassen – und fürchten! Und, bitte, beschummelt sie halt nur wenig, nur gerade so viel, wie ihr törichter Aberglaube es möglich macht und wie für euer Überleben nötig ist! Vor allem lernt von ihnen: Gebt euch nicht mit kleinen Gaunereien ab; schaut, wie die Häuptlinge bei den Gadsche Geschäfte machen. Wenn bei denen ein Oberling für seine kumpania (Partei, Kirche, Gewerkschaft usw.) Schmiergelder verschiebt, Steuern hinterzieht, Waffengeschäfte ermöglicht, Giftprodukte auf den Markt befördert, die Millionenschäden anrichten und Millionen Leben kosten können, so gilt dies als ›Kavaliersdelikt‹ und ist oft nicht einmal ›strafverfolgungswürdig‹, weil der Gadscho baro sich dabei (wenn er klug ist) ja ›nicht persönlich bereichern wollte‹. Also: Siker werden, Rom! Lernen!
    Das ist für euch heute so wichtig wie früher. Solange die Geld, Güter und Gottes Gnade besitzenden Gadsche euch verfolgen!
    Nehmt als Beispiel nur, wie sie euch sogar in kultivierten und relativ humanen Ländern behandeln:
    Aus Rom (die Stadt heißt wirklich nicht nach euch!) berichtete der Italienkorrespondent von DIE WELT (Nr. 268, S. 30) am 17. Nov. 1987 (!) unter der dicken Schlagzeile »Kopf ab!« – Aufstand der Bürger von Rom gegen die Zigeuner. Dem Artikel zufolge empört es das ›gesunde Volksempfinden‹ – schon wieder einmal der fatale Begriff, diesmal bei den sonst so toleranten katholischen, bzw. kommunistischen Einwohnern der italienischen Hauptstadt! –, dass für etwa dreitausend ›Zigeuner‹, die in den Außenbezirken kampieren, ›feste Lager‹ mit den dringlichsten zivilisatorischen (sanitären) Einrichtungen erstellt werden sollen. Ihr Roma
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