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Zenjanischer Lotus (German Edition)

Zenjanischer Lotus (German Edition)

Titel: Zenjanischer Lotus (German Edition)
Autoren: Raik Thorstad
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schlichtes Leinen gekleidete Junge. Sein nur schwach ausgebildeter Adamsapfel hüpfte aufgeregt.
    Stolan machte sich einen Spaß daraus, den Bengel zu ärgern. Er nahm sich Zeit, musterte ihn mit undurchdringlicher Miene. Erst als der Junge vor Angst in die Mauer zu schmelzen
drohte, zog er abschätzig eine Augenbraue hoch und entließ ihn mit herablassender Geste.
    Sein
Freund
war zurückgekehrt. Kein Begriff, den man wörtlich nehmen durfte. Jemand wie Stolan von Meerenburg kannte keine Freunde. Er hatte Beziehungen, sammelte Kontakte,
sorgte dafür, dass man ihm Gefallen schuldig war, und tauschte die Frauen, die ihm sein Bett wärmten, regelmäßig aus. Jeder war käuflich. Freunde und Familie brauchte er
nicht.
    Sein
Freund
stand auf seiner Gehaltsliste und eigentlich nicht einmal das. Er war sein Eigentum. Ein Werkzeug. Eine Waffe. Eine Waffe, die ihn unlängst enttäuscht hatte.
    Stolan wandte sich dem Meer zu. Dem Spiel der ungestümen Wellen mit ihren weißen Kronen. Dem Kreisen der Möwen, die darauf warteten, dass die Ebbe kam und ein Stück
Meeresboden freigab, auf dem es vor Getier wimmelte.
    Sothorn war zurück. Er hatte sich nicht an die Spielregeln gehalten und verdiente Strafe. Einem gefährlichen Mann, dessen Wesen mehr dem der Wargen im Wald entsprach als einem
Menschen, durfte man keine Eigenmächtigkeiten durchgehen lassen.
    Stolans linker Mundwinkel zuckte nach oben. Die grausamste Strafe wäre, die Rückkehr des Assassinen zu ignorieren. Dummerweise hatte er bereits einen neuen Auftrag für Sothorn in
der Hinterhand und dafür musste dieser bei Kräften sein.
    Er würde sich etwas anderes einfallen lassen müssen.
    Gemessenen Schrittes verließ Stolan den Balkon und betrat sein Arbeitszimmer. Die Glut im Kamin war zu seiner Missbilligung erloschen. Aus einer Truhe hinter seinem Schreibtisch entnahm er
eine bauchige Flasche, deren kühler Inhalt Blasen warf. Umsichtig gab er einen Teil der Flüssigkeit in eine Phiole, versiegelte sie mit einem Korken und ließ sie in die Tiefen
seines Umhangs gleiten.
    Es war eine kleine Menge; zu klein, wie er wusste. Aber wer sich nicht an seine Befehle hielt, musste daran erinnert werden, wie viel Wert er auf Genauigkeit legte.
    Teppiche vom fernen Kontinent Inahain federten unter Stolans Sandalen, als er durch die Flure eilte. Seine Schritte waren kaum zu hören, als er sich der Eingangshalle näherte und von
dort den Weg in den Weinkeller einschlug.
    Stolan versicherte sich, dass niemand zwischen den mannshohen Fässern lauerte, bevor er an die rückwärtige Wand des Kellers trat. Er brauchte kein Licht, um die feinen Fugen im
Mauerwerk zu finden. Er ertastete das unsichtbare Muster, bevor er einen Ring vom Finger zog und mit dem eingelassenen Saphir über den Stein rieb. Ein rötliches Licht flammte auf, als die
Schutzrune deaktiviert wurde und eine Steintür lautlos zur Seite glitt.
    Ein letztes Mal sah Stolan sich um, bevor er die Treppe betrat, die in die Eingeweide des Berges führte.
    Kaum jemand wusste von der Existenz des Geheimgangs oder den Räumlichkeiten, die tief im Gestein der Klippe verborgen lagen. Als Stolan von Meerenburg das Anwesen erstand, hatte es hinter
der magisch versiegelten Tür lediglich einen Fluchttunnel zum Meer gegeben, an dessen Ende ein Boot darauf wartete, gefährdete Bewohner in Sicherheit zu bringen. Schnell hatte er erkannt,
wie viel Potenzial in der unterirdischen Anlage steckte. Mit der Hilfe von findigen Bergleuten und einem Hauch elementarer Magie hatte er Lagerräume sowie ein Gefängnis mit Folterkammer
in den Fels brechen lassen.
    Es ließ sich nicht verhindern, dass Feuchtigkeit durch die Gänge zog, sodass er keine verderblichen Waren unter dem Anwesen lagern konnte.
    Für Edelsteine, Metalle und Gefangene hingegen reichte es. Für seinen persönlichen Assassinen auch.
    Stolan griff nach einer Fackel und ging umsichtig die feuchten Stufen hinunter. In seinem Alter heilten Knochen nicht mehr so schnell.
    Nachdem er etliche Höhenmeter überwunden hatte, passierte er eine Reihe Gefängniszellen, deren einzige Bewohner in diesen Tagen Ratten waren. Er hatte nichts dagegen, dass die
Nager sich in seinen Mauern einnisteten. Sie reinigten die Zellen von Unrat.
    Spinnweben kitzelten ihn im Gesicht und legten sich in seine ergrauten Haare.
    Sein Ziel war die einzige Zelle, die mit einer massiven Tür anstelle eines Gitters versehen war. Riegel und Schloss gab es nicht. Es brauchte keine Fesseln, um
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