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Zeit Des Zorns

Zeit Des Zorns

Titel: Zeit Des Zorns
Autoren: Jutta Ditfurth
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nicht aufgeht – treibt die Bundesrepublik dann noch weiter nach rechts? Gibt es dazu wirklich keine anderen linken Alternativen? Welche Verwerfungen und Unruhen sind vorstellbar? Wohin treibt der Zorn die Wütenden?

5     Menschenfresser
    Was können Menschen tun, um die gesellschaftlichen Verhältnisse zu ändern? Die Frage ist wirklich nicht neu. Aber unsere Erfahrungen sind höchst unterschiedlich. Für die kommenden politischen Auseinandersetzungen ist die Lage zu klären. Denn wir sollten die Voraussetzungen für unser Vorhaben kennen: Welches sind die inhaltlichen Fragen? Was lernen wir aus der Geschichte? Wie wehren wir uns heute? Mit wem gemeinsam und mit wem nicht? Leben wir überhaupt in einem demokratischen Rechtsstaat, der uns Protest und Widerstand erlaubt?
    Einen demokratischen Rechtsstaat würden wir daran erkennen, dass kritisch denken zu lernen Bestandteil der Schulausbildung wäre, dass oppositionelle Meinungen wirklich frei wären, dass Demonstrationen, sofern nicht von Faschisten organisiert, unbehindert stattfinden könnten, dass niemand bespitzelt würde, dass Polizei und Geheimdienst strikt getrennt wären und auch nicht mit Faschisten kooperieren, dass, nicht zuletzt, eine Veränderung dieser Gesellschaft, auch eine grundlegende, möglich wäre, denn eine wirkliche Demokratie ließe sich in Frage stellen und weiter entwickeln. Das alles ist nicht der Fall.
    Die Ansichten darüber, ob wir in einem Rechtsstaat leben, gehen weit auseinander. Es sind viele kleine Momente, die zeigen, dass dieser Staat nach der Auseinandersetzung mit der Außerparlamentarischen Opposition (APO), den »68ern«, gelernt hat, seine Repressionen gezielter und milieuspezifischer einzusetzen. In den 1960er Jahren haben junge Leute, egal ob sie in großen oder kleinen Städten lebten, ob sie politisch aktiv waren oder nur lange Haare trugen und lässige Kleidung, sehr ähnliche schlechte Erfahrungen mit der Staatsgewalt gemacht. Das hat auch zusammengeschweißtund die Revolte gestärkt. Heute scheint fast jede Gruppe von jungen Leuten ihre eigenen, sehr unterschiedlichen Erfahrungen zu machen.
    Eine junge Frau, die sich selbst als kritisch und politisch interessiert begreift, aber nicht politisch aktiv ist, kam aus dem Film Der Baader Meinhof Komplex . Unter dem Eindruck der Schießereien, der Toten und der historischen Oberflächlichkeit dieses effekthaschenden Films sagte sie: »Das war ja schlimm damals. Glücklicherweise ist es heute nicht mehr so.« Beeindruckt war sie vor allem von einer Szene, und zwar von der, in der historische Wahrheit und Filmkunst ausnahmsweise zusammenfallen: als der Schah am 2. Juni 1967 nach Westberlin kam, die Demonstranten erst von Angehörigen des persischen Folter- und Geheimdienstes Savak und anschließend von der Westberliner Polizei verprügelt wurden und Benno Ohnesorg erschossen wurde.
    Ist es heute nicht mehr so? Und was ist heute nicht mehr so? Und für wen? Natürlich hat diese politisch nicht aktive junge Frau ein anderes Bild von der Welt als Menschen, egal welchen Alters und Geschlechts, die sich in die politischen Auseinandersetzungen stürzen.
    Machen wir, um eine Antwort zu finden, eine Reise in die Erfahrungswelt derjenigen, die – wie die Autorin und ihre Freunde – gegen die internationale Politik des Kapitals und seiner Agenturen demonstrieren, gegen den Internationalen Währungsfonds (IWF), die Weltbank (Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung) und die Europäische Union, also EU-Europa (was keineswegs mit Europa gleichzusetzen ist). Es fanden hier keine Revolutionen statt, keine bewaffneten Kämpfe, sondern »nur« Aufklärung, Demonstrationen und politische Aktionen. Betrachten wir aber die letzten 27 Jahre und vor allem die letzten 13 Jahre, dann ist deutlich zu sehen, wie sich die Bedingungen unseres Widerstandes verändert haben.
    * * *
    Der IWF und die Weltbank sind, in notwendiger Klarheit formuliert, Instrumente der kapitalistischen Zentren – vor allem der USA, aber auch der EU –, um die Staaten des Trikonts, die Staatenan der kapitalistischen Peripherie für die Verwertungsinteressen des Kapitals zuzurichten. Beide Organisationen, Hauptsitze in Washington, werden auch Bretton-Woods-Institutionen genannt, weil ihre Gründung 1944 in der gleichnamigen US-Kleinstadt beschlossen wurde.
    Während des Zweiten Weltkriegs hatten die USA den zerfallenden Kolonialreichen Frankreich und insbesondere Großbritannien die Vorherrschaft über den
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