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Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane

Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane

Titel: Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane
Autoren: Diana Gabaldon
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sagte sie, aber das war das Übliche. Und so war es auch gewesen, als er das erste Mal zurückgereist war.
    »Sorgt Euch nicht«, sagte er zu dem Mädchen und hoffte, sie zu beruhigen. »Ich möchte nur, dass Ihr Euch etwas anseht. Dann bringe ich Euch zurück ins Kloster – ich gehe doch davon aus, dass Ihr immer noch dorthin zurückwollt?« Halb scherzhaft zog er die Augenbraue hoch. Es war wirklich nicht seine Absicht, ihr Angst zu machen, obwohl das bereits geschehen war und er fürchtete, dass sich weitere Angst nicht vermeiden ließ. Er fragte sich, was sie wohl tun würde, wenn sie begriff, dass er tatsächlich vorhatte, sie unter die Erde zu bringen.
    MICHAEL KNIETE AUF SEINEM SITZ und steckte den Kopf zum Fenster der Kutsche hinaus, die er durch schiere Willens- und Muskelkraft vorwärtsdrängte. Es war fast vollständig dunkel, und die Kutsche des Grafen war nur als bewegter Fleck in der Ferne zu sehen. Doch sie befanden sich außerhalb der Stadt; es waren keine anderen großen Fuhrwerke unterwegs – und es war auch nicht damit zu rechnen –, und es gab nur sehr wenige Abzweigungen, an denen ein solch großes Gefährt die Hauptstraße verlassen konnte.
    Der Wind wehte ihm entgegen und riss ihm das Haar in Strähnen los, die ihm das Gesicht peitschten. Er wehte ihm auch den schwachen Geruch der Verwesung entgegen – in ein paar Minuten würden sie am Friedhof vorüberkommen.
    Er wünschte inbrünstig, er hätte daran gedacht, eine Pistole mitzubringen, ein Schwert – irgendetwas! Doch er hatte nichts in der Kutsche, und er trug auch nichts am Leib außer seiner Kleidung und dem Inhalt seiner Taschen, der nach einer hastigen Inventur aus einer Handvoll Münzen bestand, einem benutzten Taschentuch – dem, das Joan ihm zurückgegeben hatte und das er jetzt fest in einer Hand zusammenballte –, einer Zunderschachtel, einem Papierdocht, einem Stückchen Siegelwachs und einem kleinen Stein, den er auf der Straße aufgehoben hatte, rötlich mit einem gelben Streifen. Vielleicht konnte er ja mit dem Taschentuch eine Schlinge improvisieren, dachte er wild, und den Grafen mit dem Stein an der Stirn treffen à la David und Goliath. Und dem Grafen am Ende noch den Kopf mit dem Taschenmesser abschneiden, das er in seiner Brusttasche gefunden hatte.
    Auch Joans Rosenkranz befand sich in dieser Tasche; er holte ihn heraus, wickelte ihn um seine linke Hand und hielt die Perlen fest, um sich zu beruhigen. Er war zu sehr abgelenkt, um zu beten, zumindest über die Worte hinaus, die er lautlos immer und immer wiederholte, ohne ernsthaft zu bemerken, was er sagte.
    » Gib, dass ich sie rechtzeitig finde!«
    »SAGT MIR«, fragte der Graf neugierig, »warum habt Ihr mich damals auf dem Markt angesprochen?«
    »Ich wünschte, ich hätte es nicht getan«, erwiderte Joan knapp. Sie traute ihm immer noch nicht über den Weg; erst recht nicht, seit er ihr den Brandy angeboten hatte. Bis jetzt war ihr der Gedanke gar nicht gekommen, dass er tatsächlich zum Alten Volk gehören könnte. Die Alten konnten auf der Erde leben und ganz normal wie Menschen aussehen. Ihre eigene Mutter war jahrelang überzeugt gewesen – und selbst einige der Murrays dachten das –, dass Pas Frau Claire eine von ihnen war. Sie selbst war sich nicht sicher; Claire war gut zu ihr gewesen, doch es sagte ja auch niemand, dass die Alten nicht gut sein konnten , wenn sie wollten.
    Pas Frau . Ein plötzlicher Gedanke lähmte sie; die Erinnerung an ihre erste Begegnung mit Mutter Hildegarde, als sie der Äbtissin Claires Brief übergeben hatte. Sie hatte » ma mère « gesagt, weil ihr kein Wort einfiel, das »Stiefmutter« bedeuten könnte. Es war ihr nicht wichtig erschienen; warum sollte es jemanden interessieren?
    »Claire Fraser«, sagte sie laut und beobachtete den Grafen genau. »Kennt Ihr diesen Namen?«
    Seine Augen wurden groß und leuchteten weiß im Dämmerlicht. Oh, aye, er kannte sie, aha!
    »Ja«, sagte er und beugte sich vor. »Eure Mutter, nicht wahr?«
    »Nein!«, sagte Joan mit großem Nachdruck und wiederholte es mehrmals auf Französisch, um es zu betonen. »Nein, das ist sie nicht!«
    Doch sie beobachtete mit wachsender Beklommenheit, dass dieser Nachdruck falsch aufgenommen wurde. Er glaubte ihr nicht; sie sah es an der Erregung in seinem Gesicht. Er glaubte, dass sie log, um ihn von sich abzulenken. Jesus, Herr, erlöse mich …
    »Ich habe Euch das auf dem Markt gesagt, weil die Stimmen es mir aufgetragen haben!«, platzte sie
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