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Zeit der Skorpione: Laura Gottberg ermittelt (German Edition)

Zeit der Skorpione: Laura Gottberg ermittelt (German Edition)

Titel: Zeit der Skorpione: Laura Gottberg ermittelt (German Edition)
Autoren: Felicitas Mayall
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hineingekrochen, schon um Schmerzen in seiner Brust zu vermeiden. Jetzt lag er auf dem Rücken, starrte an die Decke und fühlte sich, als könnte er nie wieder aufstehen. Wie vor ein paar Monaten auf der Intensivstation, als er allmählich aus dem künstlichen Koma erwacht war.
    Er war es nicht gewöhnt, über einen langen Zeitraum körperliche Schwäche zu fühlen, seine Gesundheit hatte ihn bisher selten im Stich gelassen. Einmal hatte er sich ein Bein gebrochen, weil eine junge Frau ihn einen steilen Abhang hinabgestoßen hatte – bei inoffiziellen Ermittlungen mit Laura in den Cinque Terre. Aber diesen Beinbruch hatte er nie bedauert, angesichts der intensiven Zeit, die er damals mit Laura verbracht hatte.
    Das hier war anders. Er war noch nie angeschossen worden und hatte nicht einmal für möglich gehalten, dass ihm so etwas jemals zustoßen würde. Keiner seiner Sieneser Kollegen war in all den Jahren, die sie miteinander Dienst taten, ernsthaft verletzt worden. Galleo hatte in Siena einmal einen Streifschuss abgekommen und Laura Gottberg eine Schramme von einem Querschläger. Schwere Zwischenfälle gab es vor allem in den großen Städten, in Rom, Neapel, Palermo, seltener in Mailand oder Turin, noch seltener in Florenz, wo er viele Jahre lang gearbeitet hatte.
    Außerdem träumte er noch immer von dem verdammten fliegenden Hund, der ihn bis in seine Komaträume und auch danach noch verfolgt hatte. Ein zähnebleckender, fliegender Hund mit wehenden Ohren und wild rudernden Beinen, der durch die Luft auf ihn zuraste und nach ihm schnappte. Natürlich wusste er inzwischen, dass es sich um den Hund des Bauern Piselli handelte, der ihm nie besonders freundlich begegnet war. Aber dieses Monster, das regelmäßig in seinen Träumen auftauchte, war für Guerrini inzwischen zum Symbol für den unerwarteten Schuss geworden, der ihn beinahe das Leben gekostet hätte. Auf die Treue dieses Hundes konnte er gut verzichten, doch er ging nicht weg, der Hund.
    Vielleicht sollte er mit seinem Freund Salvia darüber sprechen. Aber Guerrini wusste schon, was der Gerichtsmediziner sagen würde: Du bist traumatisiert, mein Lieber. Ist ja auch kein Wunder. Geh zu einem Spezialisten und rede darüber. Du kannst auch mit mir reden, aber ich bin kein Psychologe.
    Guerrinis Körper erschauderte, als er an Salvias Arbeit dachte. Das Aufbrechen Toter, dieses Eindringen in Körper, um die Ursache ihres Ablebens herauszufinden, erfüllte ihn plötzlich mit Grauen. Einer der beiden Gerichtsmediziner, Salvia oder Granelli, hätte auch ihn aufgebrochen, wenn er nicht durchgekommen wäre.
    Guerrini kroch wieder aus seinem Bett und ging in die Küche, ohne zu wissen, warum. Dann fiel ihm ein, dass er noch immer nichts gegessen hatte, seit er zu diesem seltsamen Einsatz nach Bagno Vignoni aufgebrochen war. Kein Wunder, dass er sich schwach fühlte.
    Das halbe Ciabatta, das er am Morgen gekauft hatte, war noch ziemlich frisch, und im Kühlschrank fand er cremigen Cervetta-Käse und Wildschweinsalami. Auf die halbe Flasche Rotwein, die auf der Anrichte stand, warf er nur einen kurzen Blick, dann füllte er ein Glas mit Mineralwasser. Er setzte sich nicht, um zu essen, brach nur ein Stück Brot ab, schmierte Käse darauf und ging ans Küchenfenster.
    Der Innenhof war ein schwarzer Abgrund, aber ein Stockwerk tiefer, im Haus gegenüber, brannte in einer Küche ebenfalls Licht. Ein alter Mann im blauen Unterhemd saß am Tisch, den Kopf in die Hände gestützt. Guerrini konnte eine hagere Schulter sehen und die Flasche und das Glas, die vor dem Alten standen.
    Vier Uhr morgens. Warum der Alte, drüben im dritten Stock, wohl nachts trank? Weil er nicht schlafen konnte? Oder weil seine Frau gestorben war? Weil er sich vor dem Tod fürchtete oder Schmerzen hatte?
    Als der Alte das Glas in einem Zug austrank, wandte sich Guerrini ab. Indiskret, nachts in fremde Fenster zu schauen. Plötzlich war er froh, keinen Wein getrunken zu haben. Wein um vier Uhr morgens war keine Lösung. Für gar nichts. Er dachte an seinen Vater und fragte sich zum ersten Mal, ob der alte Fernando auch manchmal nachts am Küchentisch saß, weil er nicht schlafen konnte oder weil ihn alle möglichen Dämonen seines langen Lebens bedrängten.
    Ob er dann Wein trank oder Grappa oder nichts? Einmal, im heißen Sommer vor zwei Jahren, hatte Guerrini ihn dabei ertappt, wie er nachts Käse aß und ihn mit seinem Hund Tonino teilte.
    Ob Fernando darunter litt, dass sein Sohn ihm die
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