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Zebulon

Zebulon

Titel: Zebulon
Autoren: Rudolph Wurlitzer
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Verletzungen.
    In dem Jahr fand das Rendezvous am Purgatory River statt, am Ausgang eines schmalen, mit Grüppchen von Pappeln und verkümmerten Erlen bestandenen Tals. Als Zebulon mit seinem Pferd auf das weitläufige Lager halb verhungerter Indianer und betrunkener Mountain Men zusteuerte, vertrat ihm eine uralte Arapaho-Squaw den Weg, die einen Zylinder und eine schmutzige braune Decke über einem langen roten Rock trug. In einer Hand hielt sie eine aus einer Wapiti-Geweihstange geschnitzte Kriegskeule, in der anderen eine Rassel. Während er sein Pferd um sie herum lenkte, glitt ein leuchtender Schleier aus rauchigem Licht zitternd ihren Körper hinab. Er musste daran denken, wie Nicht-hiernicht-da ihn mit zornigen, anklagenden Augen angestarrt hatte. Bei näherem Hinsehen löste sich die Gestalt in die einer Mulattin mit hohen Wangenknochen und schließlich in die starre Totenmaske einer weißhaarigen mexikanischen Vettel auf.
    Die Arapaho lachte über seine Angst. Sie schüttelte ihre Rassel und umkreiste ihn drei Mal, bis ihm die Sinne schwanden und er kopfüber vom Pferd fiel. Als er sich aus dem Schlamm aufrappelte, war sie verschwunden, als sei sie nie dagewesen.
    Er ritt weiter auf das Lager zu, angespornt von langgezogenen Juchzern und Pistolenschüssen der versammelten Trapper, die Vorräte mit Fellen bezahlten, Pferde tauschten, Glücksspiele machten und Händel austrugen. Diesmal würde er die Sau rauslassen, sagte er sich, das hatte er sich verdient, obwohl die knickrigen Agenten der Gesellschaften einem die Vorräte – Whiskey, Kaffee und Schießpulver, unter anderem –, ohne die kein Mountain Man leben konnte, er selbst schon gar nicht, nur für zwei Monate auf Pump verkauften. Und obwohl er wusste, dass sich die Gespräche an den Lagerfeuern nicht mehr darum drehen würden, wer skalpiert worden oder ertrunken war oder wer wem was und warum angetan hatte. Nichts da. An diesem einen Abend war er nicht in der Stimmung, sich das Gejammer über den Niedergang des Pelzhandels anzuhören, über den ausufernden kalifornischen Goldrausch oder über die Massen ignoranter Flachländer, die über die Berge ausschwärmten wie Heuschrecken, oder über die letzten Tage des freien Trappers, das Ende jener Zeiten, als ein Mountain Man reiten konnte, wohin er wollte, und jeden Unfug anstellen durfte, der ihm in den Sinn kam. Eine Lebensweise, die von neuen Drecksnestern und ahnungslosen Greenhorns aus dem Osten immer mehr verdrängt wurde, die vom Einzug der Zivilisation und vom Feiertagsgebot faselten – das zu befolgen zumindest für ihn und seinesgleichen nicht in Frage kam. Nicht mit mir, bekräftigte er. Als einer dieser Verrückten aus den Bergen würde er die Zähne in alles schlagen, was ihm vor die Nase kam, und die Freuden dieses Rendezvous genießen bis zum Umfallen. Komme, was da wolle.
    Nachdem er für seine Felle ein zu niedriges Angebot in bar akzeptiert hatte, ließ er sich bis zur Bewusstlosigkeit vollaufen. Vor rauschhafter Begeisterung überschäumend, beteiligte er sich an einem Wettkampf im Tomahawkwerfen, dem sich mehrere Runden Three Card Monte anschlossen, dann eine schnelle Nummer mit einer Pawnee-Squaw und, zusammen mit einem Dutzend anderer Berg-Desperados, eine wüste Massenprügelei in fettem Schlamm, die ein jähes Ende nahm, als ein durchgedrehter Polacke ihm die Unterlippe abbeißen wollte.
    »Ein Hurra auf die Berge!«, rief Zebulon, trieb dem Polacken mit einem Faustschlag die Nase halb in den Schädel und trat ihm noch seine letzten paar Zähne aus. Dann torkelten die beiden Männer Arm in Arm zu den anderen Verrückten hinüber, die am Ufer des Hochwasser führenden Purgatory rauchend und trinkend um ein Feuer saßen. Sie soffen die ganze Nacht durch, und der vom Tauwetter angeschwollene Fluss rauschte an ihnen vorbei, während sie schlabberige Bisonkutteln in ihre gut geölten Schlünde stopften, Lieder sangen und die windigen Lügengeschichten eines langen Winters austauschten.
    Am nächsten Morgen stampfte er durch einen trommelschlagenden, fiedelkratzenden Fandango und spielte dann Poker auf einer über die gefrorene Erde gebreiteten, zerrissenen Decke. Er gewann mehr, als ihm zustand, wenn man bedachte, dass er nicht in der Lage war, die Zahlen auf den Karten auseinander zu halten.
    »Je schlechter, je besser«, schrie er, während er sein Siegerblatt Karte für Karte hinknallte. In früheren Jahren hätte er nicht aufgehört, ehe er nicht seine gesamte Winterausbeute
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