Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zaubersommer in Friday Harbor

Zaubersommer in Friday Harbor

Titel: Zaubersommer in Friday Harbor
Autoren: Lisa Kleypas
Vom Netzwerk:
auf sie zu. Lucy wusste,
dass sie besser daran tat, hier zu verschwinden und sich irgendwo
unterzustellen. Aber sie wusste nicht, wohin sie gehen sollte.
    Tränen
verschleierten ihr den Blick. Trotzdem entdeckte sie den grünen Schimmer
zwischen den Kieseln. Sie bückte sich danach. Manchmal wurden Flaschen, die
auf dem offenen Meer entsorgt wurden, ans Ufer gespült und von der Brandung zerschlagen.
Ihre Scherben wurden von Sand und Wellen zu matten Kugeln geschliffen, die wie
farbige Kiesel wirkten.
    Sie schloss
ihre Hand um das Stück Seeglas und schaute gedankenverloren zu, wie die Wellen
gegen den Strand schlugen. Das Meer hatte eine bleigraue Farbe angenommen, die
Farbe von Trauer, Verbitterung und schrecklichster Einsamkeit. Betrogen worden
zu sein war schon bitter genug. Das Schlimmste aber war die Art und Weise, denn
sie zerstörte Lucys Selbstvertrauen. Wenn man feststellen musste, sich so sehr
geirrt zu haben, dann konnte man sich niemals wieder einer Sache ganz sicher
sein.
    Ihre Faust
brannte wie Feuer. Sie spürte, wie sich etwas in ihrer geschlossenen Hand
bewegte. Es kitzelte. Reflexartig öffnete sie ihre Finger. Das Seeglas war
verschwunden. Stattdessen saß ein Schmetterling auf ihrer Handfläche und
breitete seine leuchtend blauen Flügel aus. Er blieb nur einen Moment sitzen.
Dann flog er in taumelndem Flug davon, ein unwirklicher blauer Schimmer, der
sich vor dem nahenden Unwetter in Sicherheit bringen wollte.
    Ein
grimmiges Lächeln umspielte Lucys Lippen.
    Nie hatte
sie jemandem erzählt, was sie mit Glas tun konnte. Manchmal, wenn sie von
starken Gefühlen überwältigt wurde, verwandelte sich ein Stück Glas, das sie
berührt hatte, in ein Lebewesen. Oder zumindest in eine bemerkenswert überzeugende
Illusion eines Lebewesens. Immer klein, immer kurzlebig. Lucy hatte sich
bemüht, zu verstehen, wie und warum das geschah. Irgendwann hatte sie ein Zitat
von Einstein gelesen, in dem er sagte, man müsse leben, als sei entweder alles
ein Wunder oder gar nichts. Da endlich verstand sie, dass es egal war, ob sie
ihre Gabe als Phänomen der Molekularphysik oder als Magie bezeichnete. Beides
war richtig, und der Name, den sie der Sache gab, spielte keine Rolle.
    Lucys
freudloses Lächeln erstarb, während sie den Schmetterling aus den Augen
verlor.
    Ein
Schmetterling – Symbol für die Annahme einer neuen Phase im Leben. Symbol
dafür, sich nicht irremachen zu lassen, wenn alles um einen herum sich
veränderte.
    Diesmal
nicht, dachte sie. Hass auf ihre Gabe und die Vereinsamung, die sie mit sich
brachte, machte sich in ihr breit.
    Am Rand
ihres Blickfeldes tauchte eine Bulldogge auf, die am Wasser entlanglief. Ihr
folgte ein dunkelhaariger Fremder, der aufmerksam zu Lucy herüberschaute.
    Der Anblick
beunruhigte sie. Der Mann war kräftig gebaut, eindeutig bestritt er seinen
Lebensunterhalt mit Arbeit unter freiem Himmel. Und irgendetwas an ihm
vermittelte den Eindruck, als habe er auch die rauen Seiten des Lebens
kennengelernt. Unter anderen Umständen hätte Lucy vielleicht verbindlicher
reagiert, aber sie hatte kein Verlangen danach, mit diesem Mann allein am
Strand zu sein.
    Also wandte
sie sich um und ging zurück zu dem Pfad, der zur Straße hinaufführte. Ein Blick
über die Schulter zeigte ihr, dass der Mann ihr folgte. Das machte sie
hochgradig nervös. Schneller ausschreitend, stolperte sie auf dem unebenen verwitterten
Basaltgestein. Sie stürzte nach vorn und fiel hart auf die Handflächen.
    Benommen
versuchte sie, sich zu berappeln. Bis sie wieder auf die Beine gekommen war,
hatte der Fremde sie bereits erreicht. Sie fuhr keuchend herum, die zerzausten
Haare fielen ihr ins Gesicht und nahmen ihr teilweise die Sicht.
    „Immer mit
der Ruhe”, sagte er besänftigend.
    Lucy strich
sich die Haare aus den Augen und musterte ihn misstrauisch. Seine Augen
leuchteten in einem lebhaften Blaugrün, das in seinem gebräunten Gesicht
besonders intensiv wirkte. Er sah umwerfend aus, sexy, auf wilde ungezügelte
Weise attraktiv. Obwohl er kaum älter als dreißig sein konnte, zeigte sich in
seinen Zügen die Reife eines Mannes mit sehr viel Lebenserfahrung.
    „Sie sind
mir gefolgt”, stellte Lucy fest.
    „Ich bin
Ihnen nicht gefolgt, sondern dies ist der einzige Weg, der zurück zur Straße
führt, und ich wäre gern wieder in meinem Auto, bevor das Gewitter uns erreicht
hat. Wenn es Ihnen also nichts ausmacht, gehen Sie ein bisschen schneller oder
lassen Sie mich vorbei.”
    Lucy trat
zur Seite
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher