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Zauberschiffe 03 - Der Blinde Krieger

Titel: Zauberschiffe 03 - Der Blinde Krieger
Autoren: Robin Hobb
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sie wie der Rest der Welt.
    Das Ende ihrer Probe kam genauso unvermittelt, wie sie begonnen hatte. Ein Matrose schloss die Kajüte auf und bedeutete ihr, ihm zu folgen.
    Sie hielt sich die Decke vor den Körper, als sie sich auf das Bett des Kapitäns duckte. »Wohin bringt Ihr mich?«, fragte sie, während sie sich gegen den erwarteten Schlag wappnete.
    »Satrap.« Mehr tat und sagte er nicht. Entweder sprach er ihre Sprache nicht, oder er hielt eine genauere Erwiderung für überflüssig. Mit dem Kopf deutete er auf die Tür.
    Sie musste gehorchen. Als sie aufstand, wickelte sie die Decke um sich. Der Seemann versuchte nicht, sie ihr wegzunehmen. Vor Dankbarkeit darüber traten ihr Tränen in die Augen. Als er sich davon überzeugt hatte, dass sie ihm freiwillig hinterherkam, ging er einfach voraus. Sie folgte ihm zögernd, als trete sie in eine neue Welt hinaus. Fest in die Decke gehüllt, verließ sie die Kajüte. Sie hielt den Blick auf den Boden gerichtet und eilte hinter dem Mann her. Als sie ihre alte Kajüte betreten wollte, ließ ein barscher Ruf des Mannes sie zusammenzucken. Erneut lief sie hinter ihm her. Er führte sie zum Quartier des Satrapen.
    Sie erwartete, dass er anklopfen würde. Aber das tat er nicht. Er stieß die Tür einfach auf und bedeutete ihr ungeduldig einzutreten.
    Aus der Tür schlug ihr eine widerlich stickige Luft entgegen. In dieser Hitze waren die Gerüche des Schiffs noch mit denen von Schweiß und Krankheit angereichert worden. Serilla wich davor zurück, aber der Matrose war unerbittlich. Er packte sie an der Schulter und schob sie in das Zimmer. »Satrap!«, wiederholte er und schloss die Tür.
    Sie tastete sich vorsichtig in den stickigen Raum vor. Es war ruhig und dämmrig. Es war aufgeräumt worden, wenn auch irgendwie achtlos. Kleidungsstücke hingen auf Stuhllehnen, statt auf dem Boden zu liegen. Die Behälter für die Lustkräuter des Satrapen waren zwar geleert, aber nicht gesäubert worden. Der Gestank von kaltem Rauch waberte durch den Raum. Teller und Gläser waren vom Tisch geräumt worden, aber die klebrigen Ringe vom Boden der Flaschen waren noch da. Hinter den schweren Vorhängen vor dem großen Fenster summte eine Fliege, die anscheinend unbedingt an die frische Luft wollte und immer wieder gegen das Glas stieß.
    Die Kabine kam ihr sehr bekannt vor. Sie blinzelte langsam, als wäre sie aus einem schlimmen Traum erwacht. Wie konnte dieser Raum mit seiner gewohnten Unordnung noch so unverändert existieren, nach allem, was sie durchgemacht hatte? Sie sah sich langsam um, und ihre Benommenheit klärte sich allmählich. Während ihrer Gefangenschaft und der ständigen Vergewaltigungen war das Leben für den Satrapen und seinen Hofstaat wie gewohnt weitergegangen. Ihre Abwesenheit hatte für sie nichts bedeutet. Sie hatten weiter getrunken und gegessen, der Musik gelauscht und Glücksspiele gespielt. Die Abfälle und das Durcheinander ihres sicheren Lebens machten sie plötzlich wütend, eine schreckliche Kraft durchströmte sie. Sie hätte die Stühle auf die Tische schmettern, hätte das Glasfenster zertrümmern und seine Gemälde und die Vasen und Statuen ins Meer werfen können.
    Aber das tat sie nicht. Sie stand regungslos da, genoss ihre Wut und beherrschte sie, bis sie sie verinnerlicht hatte. Es war zwar keine Stärke, aber es würde genügen.
    Sie hatte gedacht, die Kajüte wäre verlassen. Dann hörte sie ein Stöhnen von dem zerwühlten Bett. Sie raffte die Decke enger um sich und trat näher.
    Der Satrap lag in seinem weichen Bettzeug. Sein Gesicht war blass, und seine Haare klebten ihm am Kopf. Er stank nach Krankheit. Eine Decke auf dem Boden vor dem Bett roch nach Erbrochenem und Galle. Als sie ihn anstarrte, öffnete er die Augen. Er blinzelte mühsam und konzentrierte sich dann auf sie. »Serilla!«, flüsterte er. »Du bist zurückgekommen. Sa sei Dank! Ich fürchte, ich sterbe.«
    »Ich hoffe, dass Ihr sterbt.« Sie sprach die Worte klar und deutlich aus, während sie ihn anstarrte. Er wich vor ihrem Blick zurück. Seine Augen lagen tief in den Höhlen und waren blutunterlaufen. Seine Hände, mit denen er den Rand seiner Decke umklammerte, zitterten. Es war eine ungeheure Ironie, so lange in Furcht zu leben und dann feststellen zu müssen, dass der Mann, der ihr das alles angetan hatte, krank und am Ende war. Sein durch die Krankheit gezeichnetes Gesicht ähnelte dem seines Vaters. Diese leichte Ähnlichkeit peinigte und stärkte sie gleichzeitig.
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