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Zauber-Schloss

Titel: Zauber-Schloss
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noch nicht völlig im klaren war. Er mußte einfach nehmen, was sich ihm bot. In der Zwischenzeit arbeiteten die Wandteppichgestalten, schliefen, kämpften miteinander und liebten sich, alles en miniature.
    In Dors Gedächtnis stiegen die Erinnerungen empor. Was hatte er doch vor Jahren hier für Abenteuer miterlebt, als er wie gebannt auf das Bild gestarrt hatte! Schwertkämpfer und Drachen und schöne Frauen und Magie aller Art, immer und immer weiter! Doch alles in verblüffender Stille. Ohne Worte wirkten viele der Handlungen sinnlos. Warum bekämpfte dieser Ritter diesen Drachen und ließ jenen dort in Frieden? Warum küßte die Kammerzofe diesen Höfling und nicht den anderen, der doch viel besser aussah? Wer war für diese Behexung verantwortlich? Und warum war dieser Zentaur nach seinem Treffen mit seiner Jungstute so wütend? Es gab so viel auf einmal zu sehen, daß es schwierig war, ein durchgehendes Schema des Ablaufs zu erkennen.
    Er hatte Millie gefragt, und sie hatte ihm bereitwillig die Geschichte ihrer aufregenden Jugend vor der Erbauung von Schloß Roogna erzählt. Doch wenn ihre Berichte auch zusammenhängender waren als all diese Bilder auf dem Wandteppich, so waren sie auf der anderen Seite aber auch ausgesuchter und thematisch beschränkter. Millie fand keinen Gefallen an herzerfrischenden Geschichten von blutigen Kämpfen, tödlichen Gefahren oder leidenschaftlicher Liebe. Sie zog Episoden schlichter Freuden und Beschreibungen häuslichen Glücks vor. So etwas konnte mit der Zeit auch langweilig werden.
    Außerdem erzählte sie nie etwa über die Zeit, nachdem sie ihre heimische Umfriedung verlassen hatte. Nichts über ihr Leben und ihre Lieben, nichts darüber, wie sie zum Gespenst geworden war. Und sie mochte auch nicht erzählen, wie sie Jonathan den Zombie kennengelernt hatte, obwohl das im Laufe der achthundertjährigen Vereinsamung auf Schloß Roogna doch auch auf ganz natürliche Weise geschehen sein konnte. Dor überlegte, ob ihm Zombies ebenfalls gutaussehend vorkommen würden, wenn er einmal achthundert Jahre als Gespenst verlebt haben sollte. Er bezweifelte es. Auf jeden Fall war sein Wissensdurst nicht gelöscht worden, deshalb hatte er das Fragen nach einer Weile aufgegeben.
    Warum hatte er eigentlich nicht den Wandteppich selbst gefragt? Dor erinnerte sich nicht mehr, also tat er es nun: »Erkläre mir doch bitte, was es mit deinen Bildern auf sich hat.«
    »Das kann ich nicht«, erwiderte der Wandteppich. »Sie sind so bunt und verschieden wie das Leben selbst und lassen sich von meinesgleichen nicht deuten.« Da hatte man es wieder. Wenn es darum ging, die ihm gestellte Aufgabe zu erfüllen, da war der Teppich auf peinliche Sorgfalt bedacht; aber wenn man ihn einfach als Teppich befragte, dann stellte sich heraus, daß ihm die Fähigkeit fehlte, seine eigenen Bilder zu begreifen. Er konnte von ihm zwar erfahren, ob sich während der letzten Stunde eine Fliege auf ihm niedergelassen hatte, aber nichts über das Ziel, das ein seit achthundert Jahren toter Magier im Sinn hatte, als er ihn schuf.
    Während er die Bilder betrachtete, erwachte sein altes Interesse an Geschichte wieder. Was war das für eine Welt gewesen, damals, während der berühmten Vierten Welle der menschlichen Besiedelung Xanths! Damals war das ganze Leben noch ein einziges Abenteuer gewesen und nicht solch eine Langeweile wie heute.
    Da erschien ein riesiger Frosch. »Der König wird Sie jetzt empfangen, Meister Do-oo-or«, krächzt er. Natürlich war das wieder eines der Trugbilder der Königin, die ständig mit ihrer Vielseitigkeit prahlte.
    »Danke schön, Froschgesicht«, erwiderte Grundy. Er hatte ein Gespür dafür, wie man eine Beleidigung anbringen konnte, ohne dafür bezahlen zu müssen. »Heute schon ein paar fette Fliegen mit deinem großen Maul gefangen?« Der Frosch plusterte sich wütend auf, konnte jedoch nichts erwidern, ohne aus der Rolle zu fallen – beziehungsweise zu hüpfen. Die Königin liebte es nicht, wenn man ihre eigenen Illusionen als unecht entlarvte. »Wie geht’s denn der geschätzten Krötenmama?« fragte der Golem munter. »Hat sie sich endlich ihre rosa Warzen gewaschen…?«
    Der Frosch explodierte. »Na ja, kein Grund, deswegen gleich in die Luft zu gehen«, tadelte Grundy den sich auflösenden Dampf. »Wollte doch nur freundlich sein, du Froschhirn.« Dor mußte mit übermenschlicher Anstrengung sein Lachen unterdrücken. Es konnte sein, daß die Königin sie noch
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