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Ysobel – Das Herz aus Diamant

Ysobel – Das Herz aus Diamant

Titel: Ysobel – Das Herz aus Diamant
Autoren: Marie Cordonnier
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längst in Erfahrung gebracht, dass sich Jos de Compers bescheidener Haushalt, der außer ihm lediglich einen Knappen und einen Pferdeknecht umfasste, in jenem Burgbereich befand, wo die Wachen und ledigen Ritter Quartier nahmen. Während alle Welt sie bei der Beichte für die Ostermesse wähnte, huschte sie mit Jeanne zu dieser Unterkunft. Ein letzter beschwörender Blick, dann öffnete sie die Pforte und trat ohne anzuklopfen in den Raum.
    Jeanne hatte ihr versprochen, dass sich niemand im Gemach befinden würde, und so war es auch. Das Durcheinander aus Rüstungsteilen, zerknitterten Kleidungsstücken und geöffneten Truhen bewies indes, dass sich Jos nach seinem üblichen Waffentraining ins Badehaus begeben hatte. Wie ihre kleine Magd in dieser Schnelligkeit die genauen Einzelheiten seines Tagesablaufs entdeckt hatte, wollte Ysobel besser nicht wissen.
    Sie bückte sich, um ein Wams vom Boden aufzuheben, danach legte sie ein paar Scheite auf die Glut im Kamin, ehe sie sich auf einer schmalen Bank niederließ. Sie wählte diese Bank, weil sie ihr erlaubte, jeden Eintretenden zu sehen, ehe er sie erblickte.
    Dies erlaubte ihr, den ersten Schreck über Jos’ Verwandlung vor ihm zu verbergen. Der einnehmende, spöttische Fischer mit dem unwiderstehlichen Grinsen war in kürzester Zeit zu einem düsteren, hageren Kämpfer geworden, um dessen schönen Mund sich zu viele und zu tiefe Falten eingegraben hatten.
    All ihre so sorgsam geschmiedeten, mutigen Pläne gerieten freilich ins Wanken, als er sie erblickte. Bei dem ungläubigen Entsetzen, das sich auf seinem Gesicht widerspiegelte, stand sie unwillkürlich auf.
    »Ich wusste nicht, dass ich zu einem Schreckgespenst für Euch geworden bin!«, murmelte sie betroffen und wartete vergeblich auf eine Antwort.
    Er starrte sie unendliche lange an, ehe er sorgsam die Pforte hinter sich schloss und schweigend näher trat. Ysobel kam nicht auf die Idee, dass auch er ein Bild von ihr im Herzen trug, das in nichts mehr mit der Wirklichkeit übereinstimmte. Das ihm die Sprache verschlug und seine Welt auf den Kopf stellte.
    Er hatte eine hinreißende Magd in zerschlissenen Kleidern kennen gelernt, deren natürliche Schönheit sich dennoch nicht verbergen ließ. Eine stolze Maid, die sich in seinen Armen in eine verführerische Sirene verwandelte, die kein Mann vergessen konnte. Nun indes stand er einer wahren Edeldame gegenüber, die von Kopf bis zu den Zehenspitzen Eleganz und Reichtum verkörperte.
    Er konnte nicht ahnen, dass Ysobel so von Jeanne herausgeputzt worden war. Die kleine Spülmagd hatte ein instinktives Gefühl für Farben, Stoffe und raffinierte Feinheiten entwickelt. Während Ysobel sich an der kostbaren Beschaffenheit der Gewebe entzückte, verstand Jeanne es, die vielen Einzelteile zu einem vollkommenen Ganzen zu kombinieren.
    Für diesen so wichtigen Besuch hatte sie ihre Herrin zu einem weichfließenden Seidengewand überredet, dessen Farbe dem ersten Blau des Frühlingshimmels entsprach. Unter dem Busen mit einem breiten, perlenbestickten Gürtel gerafft, fiel es vorne in knisternden Falten auf die Schuhspitzen. Das Oberteil hatte einen spektakulären Ausschnitt. Die weiten, mit cremefarbener Seide gefütterten Ärmel fielen trompetenförmig auf Ysobels Fingerspitzen herab. Ihre üppigen Locken verschwanden völlig unter dem Kopfputz, von dessen oberster Spitze ein hauchfeiner Schleier zur Hüfte wehte, so zart wie eine erste Frühlingswolke.
    Jos de Comper glaubte ein Traumbild zu sehen, das nur sehr wenig mit jener Ysobel zu tun hatte, an die er sich so schmerzlich erinnerte. Er war ihr fast ein wenig böse wegen der dramatischen Veränderung, und dieser Unwille klang in seiner Stimme mit.
    »Ihr solltet nicht allein im Zimmer eines Ritters sein, Dame Ysobel! Denkt an Euren Ruf!«
    Ausgerechnet von ihm eine Lektion in Sachen guten Benehmens zu erhalten, brachte Ysobel schneller wieder zur Vernunft als alles andere. Es bestätigte Olivianes Vermutungen auf wundersame Weise. Ohne dass es ihr bewusst wurde, erschien ein zärtliches Lächeln auf ihrem Gesicht. Wie hinreißend töricht er doch war!
    Jos sah nur, dass die vergangenen Wochen die Schatten der Erschöpfung von ihren feinen Zügen getilgt und ihr die Fähigkeit verliehen hatten, andere mit königlicher Herablassung zu behandeln. Er bekam umgehend eine Kostprobe davon serviert.
    »Ich wollte Euch lediglich meinen Gruß entbieten, Messire!«, sagte sie mit vollendeter Höflichkeit. »Ich stehe tief
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