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Yofi oder Die Kunst des Verzeihens – Ein Nashorn lernt meditieren

Yofi oder Die Kunst des Verzeihens – Ein Nashorn lernt meditieren

Titel: Yofi oder Die Kunst des Verzeihens – Ein Nashorn lernt meditieren
Autoren: Oliver Bantle
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dachte Yofi und fraß leckeres Gras, als wäre nichts.
    »Es ist immer wieder eine Wohltat, gut vorbereitet zu sein«, sagte Meru.
    Er will es nicht anders.
    »Nur um sicherzugehen, dass ich alles richtig verstanden habe: Du hast also bemerkt, dass dein Großvater sich um einen Tag verrechnet hat.«
    »Gestern war gestern der wichtigste Tag. Heute ist es heute«, antwortete Meru.
    »Und morgen dann schon wieder«, platzte Yofi heraus.
    »Morgen ist morgen der wichtigste Tag, genau. Du lernst schnell.«
    Yofi hörte auf zu kauen.
    »Dann ist also jeder Tag der wichtigste in deinem Leben?«, fragte er höhnisch.
    »So kann man es sehen. Aber heute interessiert mich nur heute.«
    »Und über morgen denkst du erst gar nicht nach.«
    »Wie kann ich über etwas nach denken, das noch vor mir liegt?«, fragte Meru grinsend.
    Yofi setzte gerade zu einer gehässigen Antwort an.
    »Keine Sorge«, kam der Alte ihm zuvor. »Ich weiß, was du meinst: Mit morgen beschäftige ich mich ausführlich, wenn es so weit ist.«
*
    Am nächsten Tag rasteten sie unter einem Affenbrotbaum.
    »Kennst du den Weg eigentlich gut?«, fragte der Enkel.
    »Meinen schon. Deinen findest du sicher auch.«
    Yofi stutzte.
    »Was heißt denn das schon wieder?«
    »Bisher machst du das ausgezeichnet.«
    »Klar, ich bin neben dir gelaufen.«
    »Deinen Weg kennst alleine du. Ich begleite dich nur.«
    Yofi senkte den Kopf.
    Der will mich wohl verarschen!
    Aber der Großvater machte ein ernstes Gesicht.
    »Es ist dein Wunsch. Deshalb musst du den Weg finden.«
    »Ich war doch aber noch nie am Ozean ...«
    »Na und?«
    »Willst du damit etwa sagen, dass ich den Weg bis hierher bestimmt habe?«
    »Schön, dass es kluge Nashörner gibt«, antwortete Meru mit sanftem Spott.
    »Seit wann?«
    »Seit wir aufgebrochen sind.«
    »So ein Stuss!«
    Yofi kochte vor Wut.
    Er dachte an die Strecke, die sie bereits zurückgelegt hatten, und verspürte große Lust, auf der Stelle umzukehren. Aber zu Hause am Hohen Berg erwartete ihn nur ein stumpfsinniges Leben – und vor allem der widerliche Antros.
    »Stimmt denn wenigstens die Richtung?«, fragte der Enkel unwirsch.
    »Mit dem Meer ist es wunderbar: Alle Wege führen dorthin. Früher oder später.«
    Yofi schnaufte.
    »Und welches ist der kürzeste?«
    Der Großvater stupste ihn liebevoll.
    »Es geht um den richtigen Weg, nicht um den schnellsten.«
    »Und welches ist der richtige ?«, fragte Yofi entnervt.
    »Der eigene natürlich.«
    »Aha. Und wie, bitte schön, finde ich meinen eignen Weg?«
    »Indem du ihn gehst. Vorher gibt es ihn ja nicht. Was zieht dich im Moment am stärksten an?«
    Yofi verstand den Sinn der Frage nicht.
    »Hä?«
    »Schau dich um und entscheide, was dir am besten gefällt.«
    »Sie«, raunte der junge Bulle und richtete sein Horn auf die orange Nachmittagssonne.
    »Dann folge deinem ersten Impuls.«
    Mit einem Kopfnicken forderte Meru den Enkel auf, sich in Bewegung zu setzen.
    »Ist der erste Einfall immer richtig?«, fragte Yofi am Abend.
    »Meistens.«
    »Warum?«
    »Weil er aus dem Herzen kommt.«
    »Na und?«
    »Das Herz weiß sofort, was richtig für dich ist. Viel schneller als der Kopf. Das größte Unglück in meinem Leben ist immer dann passiert, wenn ich mein Herz übergangen habe.«
    »Wie denn das?«, fragte Yofi.
    Er war hellhörig geworden.
    »Ich habe zugelassen, dass der Kopf die Entscheidungen meines Herzens kaputt gedacht hat. Ich habe gegrübelt und gegrübelt. Bis ich vergessen hatte, was ich ursprünglich wollte. Meine Gedanken haben gedacht, sie seien das Wichtigste auf der Welt. Sie haben sich gewaltig überschätzt. Und ich sie auch.«
    » Überschätzt? «
    »Gedanken sind dafür da, dem Herzen den Weg zu bahnen. Nicht, um die Richtung zu bestimmen.«
    Der Großvater gähnte und steckte den Enkel damit an. Bald darauf schliefen sie ein.
*
    »Was machst du da eigentlich, wenn du dich vorbereitest?«, fragte Yofi am nächsten Morgen.
    »Nichts Aufregendes: Ich besinne mich.«
    Davon hatte Yofi schon einmal gehört. Die alte Mira zog sich von Zeit zu Zeit zurück, um sich zu besinnen. Nur wusste er nie, was sie damit meinte.
    »Am besten, du probierst es selbst. Das leuchtet stärker ein als jede Erklärung. Mach die Augen zu.«
    Yofi schloss die Augen.
    »Achte auf das, was in dir vorgeht.«
    Er hob die Lider.
    »Was soll denn schon in mir vorgehen?«
    Meru schnaufte laut.
    »Eben das sollst du herausfinden! Du bist ja genau so ein zäher Brocken, wie ich einmal war.
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