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Wunschkonzert: Roman (German Edition)

Wunschkonzert: Roman (German Edition)

Titel: Wunschkonzert: Roman (German Edition)
Autoren: Anne Hertz
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Muschel und wende mich wieder an Hilde: »Also, wie gesagt, danke schön. Wenn du mal wieder Hilfe brauchst, sag einfach Bescheid.«
    »Mach ich.« Mit einem kecken Grinsen stibitzt sie sich noch einen Riegel aus der Packung und marschiert dann aus meinem Büro. Ich sehe ihr nach und denke kurz, dass ihre Figur vermutlich nicht nur deshalb so üppig ist, weil sie hin und wieder an einer Konditorei vorbeifährt: Bei ihrem stattlichen Umfang muss der Bus schon so etwas wie eine Großraumbäckerei auf Rädern sein.
    »Stella?«, kommt es aus dem Hörer.
    »Tut mir leid, Mama«, entschuldige ich mich. »Ich hab hier gerade noch mit einem Kollegen gesprochen.«
    »Kein Problem«, antwortet sie. »Ich wollte auch nur mal fragen, wie es dir geht.«
    »Nicht viel anders als gestern«, erwidere ich.
    »Entschuldige bitte mal«, kommt es prompt etwas beleidigt aus dem Hörer, »du wolltest mich gestern zurückrufen und hast es nicht getan, da werde ich ja wohl mal nachhorchen dürfen, ob irgendwas los ist.«
    Ich unterdrücke ein genervtes Seufzen. »Gar nichts ist los«, antworte ich gedehnt. »Außer dass ich hier unheimlich viel zu tun habe und mir im Büro schlicht und ergreifend die Zeit für einen gemütlichen Plausch fehlt.«
    »Zeit hast du ja nie.«
Zack,
der nächste Vorwurf.
    »Also echt, Mama! Ich bin hier bei der Arbeit, das ist doch nicht mein Hobby!«
    »Ja, und wenn du nicht im Büro sitzt, bist du ständig auf irgendwelchen Konzerten oder Reisen unterwegs!«
    »Das ist
auch
Arbeit«, erkläre ich ihr. »Du weißt doch, es gehört zu meinem Job, auf Gigs zu gehen und mir Bands anzuhören.«
    Jetzt ist es an ihr, zu seufzen. »Das weiß ich ja, mein Schatz. Und ich bin unheimlich stolz auf dich, wie gut du das alles machst. Aber ich vermisse dich eben auch und würde mich freuen, öfter von dir zu hören.« Sie legt eine kurze Kunstpause ein, und ich könnte fast mitsprechen, als der nächste Vorwurf kommt: »Davon, dich mal wieder zu sehen, rede ich ja schon gar nicht.«
    »Ich war doch vorletztes Wochenende da!«, wende ich ein.
    »Für zwei Stunden! Du hattest ja kaum Zeit, deine Jacke auszuziehen! Und außerdem warst du doch nur in Bremen, um dir eine Band anzuhören, jetzt tu also nicht so, als hättest du mich besuchen wollen!«
    »Okay«, ich blättere in meinem Kalender. »Was hältst du davon, wenn ich Sonntag vorbeikomme? Da hab ich noch gar nichts anderes vor.«
    »Du sollst dich aber auch nicht gezwungen fühlen«, erklärt sie mit trauriger Stimme, »das will ich natürlich nicht …«
    Das ist typisch für meine Mutter: Erst beschwert sie sich, und wenn man dann einen Vorschlag macht, will sie sich auch noch bitten lassen. Ich muss unwillkürlich den Kopf schütteln. Wenn es eine Meisterschaft in emotionaler Erpressung gäbe – Mutti wäre die unangefochtene Titelverteidigerin.
    Aber ich will nicht ungerecht sein, sie hat es auch oft nicht leicht gehabt. Wir beide haben es nicht leicht gehabt, um genau zu sein. Nachdem sich mein Vater – ein italienischer Pianist, dem ich auch den für meinen Geschmack etwas zu verspielten Vornamen Stella zu verdanken habe – Knall auf Fall aus dem Staub gemacht hat, als ich gerade mal sechs Jahre alt war. Keine Ahnung, wohin, wir haben nie wieder etwas von ihm gehört. Ich nehme an, er hockt irgendwo in Rom, Neapel oder auf Sizilien herum, es ist mir aber auch egal. Wer sich so verhält, kann von mir aus bleiben, wo der Pfeffer wächst. Das sah meine Mutter genauso, schließlich hatten wir ja noch uns.
    »Ich komme dich wirklich gern besuchen«, bekräftige ich noch einmal.
    »Da freue ich mich! Soll ich dir Rouladen machen?«, fragt sie wie nebenbei. Ich muss lachen, denn natürlich weiß Mutti, dass ich so ziemlich allem im Leben widerstehen kann, aber ganz sicher nicht ihren Rouladen!
    »Dann komme ich umso lieber!«
    »Gut, mein Schatz. Wann bist du denn da?«
    »Ich denke, so gegen elf.«
    »Okay. Aber denk bitte daran, dass wir hier in der Straße jetzt Anwohnerparken haben. Am besten fährst du in die Stichstraße am Ende …«
    Ich halte den Hörer ein Stückchen von meinem Ohr weg. Das ist der zweite typische Wesenszug meiner Mutter: Sie denkt noch immer, ich sei ein Kleinkind, dem man alles erklären muss. Wenn ich überlege, wie oft sie mir schon beschrieben hat, wie genau ich wo in Bremen hinfahren und parken soll, werde ich allein bei dem Gedanken daran wahnsinnig. Aber ich habe es aufgegeben, ihr zu sagen, dass ich mit meinen zweiunddreißig
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