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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond
Autoren: Federica de Cesco
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sechs Fassungen nötig, bis das Ergebnis stimmte.
    Danach begann die Jagd nach dem Geld.
    »Hier und da habe ich Schiß«, sagte ich. »Daß ich die Kohle nicht zusammenbringe. Und daß dann das Projekt tot ist, oder – noch schlimmer – daß es mir ein anderer klaut.«
    »Schiß« und »Kohle« waren nicht unbedingt Worte, die zu Olivias Wortschatz paßten. Sie reagierte sofort als Lehrerin, auch wenn sie nun bereits in Rente war.
    »Ich mag nicht, wenn du solche Ausdrücke brauchst. Und außerdem machst du das alles ja schon lange genug.«
    »Seit zwölf Jahren.«
    »Na bitte, eine Sache der Routine«, entgegnete sie achselzuckend. Es kam mir seltsam vor, daß ich einmal verheiratet gewesen war. Henri war Ingenieur bei der Filiale der UIT (Union International der Telekommunikation) in Genf. Wir hatten uns zehn Jahre zuvor in Brüssel kennengelernt, wo er Physik studierte. Wir paßten nicht 9
    zueinander; aber Henris komplizierte Art zu denken hatte mich durchaus geprägt. Nach drei Jahren hatten wir uns getrennt. Wer mich im leichten Plauderton darüber reden hörte, mochte glauben, daß ich es auf die leichte Schulter nahm. Das stimmte nicht; Henri und ich hatten beide damals sehr gelitten. Aber auf meine Art versuchte ich mich von der Geschichte zu distanzieren. Selbstmitleid lag mir nicht. Von Zeit zu Zeit nahm ich mir einen Liebhaber; aber grundsätzlich ging es besser ohne. Ich vermutete, daß kein vernünftiger Mann es auf die Dauer mit mir aushielt.
    »Du kommst und gehst, wie es dir gefällt«, hatte Henri mal gesagt,
    »du bist ein Mensch ohne Wurzeln.«
    Das war gewesen, kurz bevor wir uns trennten. Später habe ich oft über die Bemerkung nachgedacht. Kein Zweifel, sie traf zu. Mitunter machte es mir das Herz schwer, daß ich Henri verlassen hatte. Aber ich hatte nur zerstört, was zerstörbar gewesen war. Sonst hätte ich ohne Zweifel versucht, unsere Beziehung zu bewahren.
    Vor einiger Zeit hatte ich eine Reportage aus einer Zeitschrift ausgeschnitten und aufgehoben. Italienische Archäologen hatten in der Sahara bisher unbekannte Ruinen und Felszeichnungen entdeckt.
    Ich hatte Fantine davon erzählt. Fantine Nathan war Filmproduzentin, und ich kam gut mit ihr aus.
    »Ein Gelände, das dreißig Kilometer lang ist, und an manchen Stellen dreihundert Meter breit. Eine ganze Ruinenstadt hat man dort gefunden. Und jede Menge Gravuren. Stell dir das mal vor, Fantine!
    Sie zeigen Tiere, die es seit vielen hundert Jahren in der Wüste nicht mehr gibt: Elefanten, Rhinozerosse, Löwen. Und Menschen auch.«
    Ich hatte die Abbildungen in einem Reisemagazin gesehen. Da war etwas Seltsames an ihnen, was ich Fantine zu erklären versuchte.
    Eine unerhörte, expressive Kraft ging von ihnen aus, eine Kraft, wie außerhalb von Zeit und Raum.
    »Und gleichzeitig«, sagte ich, »kommen sie mir vertraut vor.«
    »Weil dein Vater aus der Wüste kam?«
    »Ich glaube schon.«
    Unsere Gefühle werden von allen möglichen Ideenverbindungen gelenkt. Farben und Formen und Strukturen einer weit zurückliegenden Zeit hatten sich in meiner Erinnerung eingeprägt.
    »Und du willst einen Film darüber machen.«
    Es war eine Feststellung, keine Frage. Ich lächelte Fantine an.
    »Vielleicht. Ich denke nach.«
    Ich konnte ein Problem Stunden, Tage und sogar Wochen in meinen 10
    Gedanken bewegen, bis ich es ganz durchschaut hatte. Oft bewirkte diese Versunkenheit, daß man mich für naiv hielt. Aber ich machte Filme. Das bedeutete, die Welt so zu sehen und sich vorzustellen, daß andere sie auch so sehen konnten. Und das verlangte – außer einer technischen Begabung – mitunter viel Intuition.
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2. Kapitel
    I ch lief im Regen nach Hause, kam verschwitzt an. Paris kann im Herbst sehr warm sein, der Regen war kühl und wohltuend. Ich wohnte in einem Haus aus der Belle Epoque, erheblich vernachlässigt, aber immer noch imposant und verschnörkelt. Ich ging durch die Halle mit dem abgetretenen Marmorfußboden, ein knirschender Aufzug brachte mich mühsam in die sechste Etage.
    Hinter dem Scherengitter glitten die Stockwerke vorbei. Es gab Erker und hohe Fenster mit bunten Bleiglasscheiben. Die Korridore waren durch abgeschabte Teppiche, Holzdielen und Treppchen miteinander verbunden. Meine Wohnung am Flurende bestand eigentlich nur aus einem einzigen Raum, der von mittlerer Größe, aber schön in seinen Proportionen war. Die Kochnische stammte aus den siebziger Jahren, das Badezimmer war eine ehemalige Dienstbotenkammer. Ich mochte
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