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Wolkengaenger

Titel: Wolkengaenger
Autoren: Alan Philps , John Lahutsky
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über die Schulter
     und schrie den Jungen an: »Hör auf damit!« Den Besuchern schenkte sie keinerlei Beachtung.
    Die Kinder scharten sich um die fremden Frauen, griffen in die Taschen, die sie bei sich trugen, und riefen: »Hier, hier!
     Ich, ich!«
    Als eine Rangelei um Louisas Kekse ausbrach, zeigte die Defektologin mit einer ausladenden Handbewegung auf die Kinder im
     Raum und sagte: »Sie sind oligophren, alle.«
    Sarah fragte, was das Wort bedeutete. »Geistig zurückgeblieben«, sagte die Frau. Sie deutete auf ein Mädchen mit |38| dunklerer Hautfarbe in einem karierten Unterhemd. »Nehmen Sie die, zum Beispiel. Ihre Mutter ist drogenabhängig und der Vater
     zurück nach Kuba. Früher besuchte wenigstens die Großmutter sie noch, aber nicht mal mehr sie kommt noch. Soweit wir wissen,
     ist sie tot.«
    Als die Kleine diese hässlichen Worte hörte, verzog sich ihr Gesicht zu einem Weinen, was die Defektologin jedoch nicht zu
     bemerken schien. Sie zeigte auf einen Jungen in einem violetten T-Shirt und einer rosafarbenen kurzen Hose. »Der ist seit
     seiner Geburt bei uns. Er wurde am Bahnhof gefunden. Seine Mutter hat ihn in Moskau zur Welt gebracht und ist dann zurück
     nach Lettland verschwunden. Und der hier: Seine Mutter lebt in einem Internat. Der Hausmeister hat sie geschwängert.«
    In den darauffolgenden Monaten, in denen Sarah weitere Babyhäuser besuchte, lernte sie, dass dieses grausame, gefühllose Verhalten
     der Betreuerinnen die Regel war. »Ich konnte nicht glauben, dass sie über die Kinder sprach, als ob diese sie nicht hören
     könnten oder zu dumm wären, sie zu verstehen. Sie besaß ein so freundliches und mütterliches Gesicht, doch wenn es um die
     Kinder ging, schienen ihr alle Mutterinstinkte abhandenzukommen. Ihre Botschaft war klar: Die Kinder waren von Geburt an verflucht
     und würden niemals in der Lage sein, ihre Unzulänglichkeiten zu überwinden.
    »Ich nahm ein kleines Mädchen auf den Arm. Sie hatte kurze, lieblos abgeschnittene Haare. Ich setzte sie mir auf die Knie
     und gab ihr ein Spielzeugpferd mit Reiter. Ich erwartete, dass sie ähnlich lieblich wie meine Tochter riechen würde, die etwa
     im gleichen Alter war. Doch stattdessen stieg mir der Geruch von ungewaschener Kleidung und Vernachlässigung in die Nase.
     Ich erinnere mich, dass ich mich fragte, wie es sein konnte, dass eine so große Einrichtung nicht einmal eine Waschmaschine
     hatte, um die Kleidung der Kinder sauberzuhalten.«
    Nachdem sie die Defektologin um Erlaubnis gebeten hatten, leerten Sarah und Louisa einen Teil der mitgebrachten |39| Spielsachen in der Mitte des Raumes auf dem Fußboden aus. Sofort stürzten sich die Kinder auf die Schätze. Berauscht von den
     leuchtenden Farben nahmen sie die knallbunten Figuren eifrig auseinander und setzten sie wieder zusammen, betätigten Hebel,
     drückten Knöpfe und veranstalteten ein wildes Klingel-, Brumm- und Hupkonzert.
    Sarah merkte schnell, dass dieses muntere Durcheinander nicht in das strenge System des Babyhauses passte, und bereits nach
     wenigen Minuten gab ihnen die Defektologin zu verstehen, dass es Zeit war, zu gehen. Im Hinausgehen sagte sie zu der Betreuerin:
     »Ich komme später wieder, um die Spielsachen zu holen und in mein Zimmer zu bringen. Das ist pädagogisches Spielzeug, mit
     dem sie nur spielen dürfen, wenn ich sie beaufsichtige. Wir wollen ja nicht, dass es kaputtgeht.«
    Sarah wollte schon protestieren, da stieß ihr Louisa einen Ellbogen in die Rippen. Nach ihnen verließ auch die Betreuerin
     das Zimmer. »Zeit für meine Pause«, murmelte sie, zückte einen Schlüssel, schloss die zwölf Kinder ein und verschwand die
     Treppe hinunter. Sarah war kurz davor zu fragen: »Aber wer passt jetzt auf die Kinder auf?«, biss sich dann aber auf die Zunge.
    Auf dem Weg zur Treppe kamen sie an einer Tür mit der Aufschrift GRUPPE 2 vorbei. »Sind in diesem Zimmer auch Kinder?«, fragte
     Sarah die Defektologin. »Wir könnten ihnen die restlichen Spielsachen geben.«
    »Oh, nein, da drinnen sind nur die schlimmen Fälle – die Unheilbaren. Die brauchen keine Spielsachen. Sie sind nicht in der
     Lage, damit zu spielen.« Doch irgendetwas an ihrer Haltung bestärkte Sarah in ihrem Vorhaben, in dieses Zimmer zu schauen.
     »Dürfen wir sie trotzdem besuchen?«
    Widerwillig öffnete die Defektologin die Tür. Stille empfing sie. Nach dem Trubel im vorigen Zimmer schien dieses auf den
     ersten Blick leer zu sein. Dann sah Sarah, dass
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