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Wolkengaenger

Titel: Wolkengaenger
Autoren: Alan Philps , John Lahutsky
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Diesmal, erklärte
     Louisa Sarah, würden sie unangemeldet kommen.
    Sie erreichten das Ende einer mit Schlaglöchern übersäten Gasse und hielten an einem hohen grünen Tor, dessen Farbe abgeblättert
     war. Durch ein kleineres Tor an der Seite gelangten sie auf das Grundstück des Babyhauses. Sarah bot sich ein trostloser Anblick:
     Unter kahlen Linden standen einige große Holzlaufställe mit abgewetzten Dächern, gemustert im russischen Bauernstil. Was die
     Außenanlage des Babyhauses einst verschönert haben musste, moderte nun nur noch vor sich hin. Zwischen den Bäumen verstreut
     fanden sich eine Schaukel ohne Sitzfläche, ein Sandkasten, der Wind und Wetter ausgesetzt war, sowie einige herrenlose Plastikgefährte,
     allesamt ohne Lenker oder Griffe. Das Babyhaus selbst war ein gelbes, zweistöckiges Gebäude – ein ehemals elegantes Herrenhaus,
     dessen mit Pilastern und Stuckverzierungen geschmückte Fassade durch den Anbau von Bretterverschlägen, Vorratskammern und
     Kohlenbunkern zwangsläufig verunstaltet worden war. Der marode Zustand des Hauses wies auf eine staatliche Nutzung hin.
    Im Babyhaus 10 lebten zweiundsechzig Kinder im Alter von null bis fünf Jahren. Doch Sarah sah oder hörte nichts von ihnen.
     Dieser Ort wirkte nicht wie die Heimat glucksender Babys und glücklicher Kleinkinder, sondern wie eine Endstation. Die Hauptstraße,
     auf der sich dicht an dicht Ladenbesucher, Straßenhändler und Bettler drängten, war gerade einmal |34| fünfzig Meter entfernt, doch das Babyhaus schien wie in einer anderen Welt zu liegen.
    Sarah und Louisa gingen die Treppe zu einer großzügigen Veranda hinauf, die vollgestellt war mit allerlei Sperrmüll wie Möbeln,
     alten Kinderwagen und Plastikspielzeug, allesamt viel zu kaputt, um noch repariert werden zu können, doch zur Entsorgung schien
     sich niemand aufraffen zu können.
    Neben der Tür saß eine stark geschminkte junge Frau in einem weißen Kittel rauchend auf einer Bank und starrte in die Ferne.
     Sie zeigte keinerlei Interesse an den beiden fremden Frauen, als diese die Außentür öffneten, einen kurzen Korridor entlangliefen
     und durch eine zweite Tür im Inneren des Babyhauses verschwanden. Dem Ort hing ein eigentümlicher Geruch nach gekochtem Kohl
     und Urin an. Die Luft war abgestanden. Eine ältere Frau in weißem Kittel, mit großer Brille und einem Stethoskop um den Hals
     kam auf sie zu, in der Hand trug sie ein Blatt Papier. Sie erkannte Louisa und nahm die Dose mit den Keksen entgegen.
    »Wir haben die Mäntel und Stiefel mitgebracht, um die Sie gebeten haben«, sagte Louisa.
    »Adela muss die Sachen in Empfang nehmen. Ich werde sie suchen gehen.« Damit ließ sie die beiden Frauen im Flur stehen. Noch
     immer war kein einziges Kind zu sehen, aber in der Ferne hörte Sarah ein Weinen.
    Langsam lief sie in Richtung des Jammerns den Flur entlang. Im Vorbeigehen las sie die Schilder an den Türen: CHEFÄRZTIN,
     STELLVERTRETENDE CHEFÄRZTIN, LOGOPÄDIE, MASSAGE. Hinter all diesen Türen war es still. Sie versuchte, eine zu öffnen. Abgeschlossen.
     Ein Stück weiter den Flur hinauf stieß sie schließlich auf die Quelle des Weinens. Es kam aus einem Zimmer, das als »ISOLATIONSRAUM«
     ausgewiesen war. Die Tür hatte ein Fenster. Drinnen sah Sarah drei Zellen. In der hintersten Zelle stand ein etwa zweijähriger
     Junge in einem Kinderbett und rüttelte auf- und abspringend an den Gitterstäben. Er sah aus, als hätte er seit einer Ewigkeit
     geweint, und brachte nun, vor lauter Erschöpfung, |35| nur noch vereinzelte Schluchzer zustande. Die Zelle war vollkommen kahl. Im Bett lag kein Teddy. An den Wänden hingen keine
     Bilder.
    Geschockt von diesem Anblick, prallte Sarah zurück und konnte nicht anders, als eine Frau mit weichen Gesichtszügen anzusprechen,
     die gerade das Zimmer der stellvertretenden Chefärztin verließ.
    »Entschuldigen Sie bitte. Was ist denn mit dem kleinen Jungen los?«, fragte Sarah. »Er scheint vollkommen aufgelöst.«
    »Seine Mutter hat ihn heute Morgen hergebracht. Sie schafft es nicht mehr«, sagte die Frau. »Sie ist Studentin. Sie braucht
     eine Pause, um ihr Studium zu beenden. Wir haben ihr gesagt, sie soll in ein paar Jahren wiederkommen. Dann ist er einfacher
     im Umgang.«
    »Aber warum ist er ganz allein da drinnen?«
    »Neuankömmlinge müssen drei Wochen in Isolation verbringen. Sie könnten die anderen Kinder anstecken.«
    »Aber er sieht gar nicht krank aus …«
    »So sind nun mal die
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