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Wolken über dem Meer: Roman (German Edition)

Wolken über dem Meer: Roman (German Edition)

Titel: Wolken über dem Meer: Roman (German Edition)
Autoren: Luanne Rice
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beiden Reportern abgelenkt, die an der Straße vor dem Anwesen Stellung bezogen hatten. Mit ihren Kameras im Anschlag, schossen sie ein Foto nach dem anderen. Morgen, am Jahrestag von Maras Verschwinden, würden die Zeitungen ohne Zweifel mit Schlagzeilen aufwarten, wie ›Großmutter wartet immer noch nach all den Jahren‹, ›Rosen zum Gedenken an Mara‹ oder ähnlichen Latrinenparolen.
    Die Pressefritzen von den Lokalzeitungen hatten sich bemüßigt gefühlt, die Geschichte häppchenweise zu servieren – mundgerecht und leicht verdaulich für die Leser, wie eine Karikaturenserie. Obwohl niemand die Wahrheit kannte – außer Mara. Edward hatte seine Rolle in dem Drama gespielt, und Maeve kannte einige Aspekte, aber Mara war als Einzige mit dem ganzen Ausmaß der Tragödie vertraut.
    Sie war die einzige Leidtragende gewesen.
    Der Ermittlungsbeamte der Staatspolizei hatte das eine oder andere in Erfahrung gebracht. Patrick Murphy, ebenfalls Ire, obwohl nicht von dem typisch irischen Schlag, mit dem Maeve im South End von Hartford aufgewachsen war. Das waren rauhe Burschen gewesen, hart wie Stahl mit einem schwarz-weißen Weltbild, denen man besser nicht in die Quere kam. Eine Sache war entweder so oder so, und damit basta. Nicht bei Patrick.
    Er war anders. Maeve war fünfzig Jahre lang Lehrerin gewesen, und wäre Patrick einer ihrer Schüler gewesen, hätte sie ihm niemals geraten, in den Polizeidienst einzutreten. Er hatte seine Ermittlungen gewissenhaft durchgeführt, keine Frage – wenn es jemand geschafft hätte, Mara aufzuspüren, dann er. Aber er besaß Eigenschaften, die sie an Johnny Moore erinnerten, einen irischen Dichter, den sie gekannt hatte.
    Das war ihr schon an dem Tag aufgefallen, als er zum ersten Mal ihr Haus betreten und ihre Hand ergriffen hatte, als sie in den Schaukelstühlen auf der Veranda saßen und er ihr von dem Blut auf Maras Küchenfußboden erzählte. Maeves Herz war erstarrt. Sie hatte wirklich gespürt, wie es eiskalt wurde und sich verkrampfte, wie der Muskel schrumpfte und das Blut aus Gesicht und Händen wich, so dass ihr Kopf auf die Brust sank.
    Als sie wieder einen klaren Gedanken fassen konnte, nur eine Sekunde oder zwei später, kniete Patrick mit Tränen in den Augen vor ihr, weil er dachte, was sie so oft befürchtet hatte – dass Mara und ihr ungeborenes Kind tot waren, beide umgebracht von Edward.
    Wenn Maeve an die Tränen in Patrick Murphys blauen Augen dachte, spürte sie, wie sich ihr Herz abermals verkrampfte, während sie die miteinander verwachsenen Rosenbüsche beschnitt. Sie wusste, dass er bald auftauchen würde – irgendwann in der nächsten Woche, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen.
    Maeve hielt die grüne Gartenschere mit dem Plastikgriff in ihren rosa behandschuhten Händen und stutzte die Rosenbüsche. Sie schnitt sie weit zurück, bis zu der Stelle, wo neues Leben in Form von kleinen grünen Blättern aus den Zweigen spross. Trotz ihrer Arthritis, die sich wieder einmal bemerkbar machte.
    Sie spürte fast, wie die Fotografen darauf brannten, sie zu bitten, die gelben Gummistiefel und die Gießkanne zu holen, um in ihrem Garten die gleiche Kulisse wie an dem Tag vor neun Jahren aufzubauen.
    »Hallo, Maeve.«
    Als sie den Blick hob, sah sie ihre Nachbarin und lebenslange Freundin Clara Littlefield durch den Garten kommen, der die beiden Häuser an den Seiten verband. Sie trug einen Weidenkorb, prall gefüllt mit Stangenweißbrot, Weintrauben, Brie, Räucherwurst und einer Flasche Wein.
    »Hallo, Clara.« Die Strohhüte der beiden Freundinnen stießen aneinander, als sie sich mit einem Wangenkuss begrüßten.
    »Die Rosen sind herrlich dieses Jahr«, schwärmte Clara.
    »Danke … Schau dir Maras Strandrosen an – sie sind wirklich eine Pracht, findest du nicht?«
    »Und wie.« Die beiden Frauen bewunderten die üppigen, mit rosafarbenen Blüten übersäten Büsche, die das kleine Mädchen in dem Jahr gepflanzt hatte, als seine Eltern ertranken. Vor langer Zeit angelegt, um das Andenken ihrer Eltern in Ehren zu halten, waren sie nun alles, was Maeve von Mara selbst geblieben war. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und sie spürte, wie Claras Arm sie umfing.
    »Du hast ein Picknick für uns mitgebracht?«, lenkte sie ab.
    »Natürlich. Ich kann mich doch nicht bei dir einladen, ohne eine kleine Stärkung mitzubringen. Das war schon vor sechzig Jahren so, wenn wir zusammen übernachtet und abwechselnd für unser leibliches Wohl gesorgt
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