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Wolfspfade 6

Wolfspfade 6

Titel: Wolfspfade 6
Autoren: Lori Handeland
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auf, als sie klatschten, miteinander zu plaudern begannen und ihre Gläser an die Lippen hoben.
    „Vielen Dank, werte Damen und Herren.“ Seine Stimme war nicht weniger betörend als seine Hände: tief, melodiös und mit einem Akzent unterlegt, den ich nicht einordnen konnte. Vielleicht spanisch, mit einer Prise Süden und einem Hauch Norden darin und dann noch etwas Unergründlichem dazwischen.
    Der Barkeeper, ein großer, muskulöser Schwarzer mit gespenstisch hellbraunen Augen und unwahrscheinlich kurzem Haar, tauchte an meinem Ellbogen auf. „Was kann ich Ihnen bringen?“
    Fast hätte ich den Kopf geschüttelt, um meine von den Händen und der Stimme des Saxophonisten ausgehende idiotische Faszination zu vertreiben. Ich war keine Frau, die wegen irgendeines Kerls aus dem Häuschen geriet, und schon gar nicht wegen seines Aussehens. Wäre mir gutes Aussehen wichtig, würde ich in echten Schwierigkeiten stecken. Mein Gesicht war keineswegs dazu angetan, jemanden zu einem Sonett zu inspirieren.
    Ich legte Katies Foto auf das polierte Holz der Theke. „Haben Sie sie schon mal gesehen?“
    „Sind Sie ein Cop?“ Der Akzent des Barkeepers war purer Süden.
    „Nein.“ Ich hätte ihm meine Privatdetektivlizenz zeigen können, aber die Erfahrung hatte mich gelehrt, dass ich leichter an Informationen herankam, wenn ich ein persönliches Interesse vorgab. „Das ist meine Schwester. Sie war achtzehn, als sie verschwand. Drei Jahre ist das her.“
    „Oh.“ Sein Gesichtsausdruck wechselte augenblicklich von argwöhnisch zu mitfühlend. „Das ist wirklich schlimm.“
    Ich konnte sein Alter nicht einschätzen – vielleicht dreißig, vielleicht auch fünfzig. Er schien gleichzeitig Teil dieser Bar zu sein und doch irgendwie nicht hierher zu gehören. Muskeln wölbten sich unter seinem dunklen T-Shirt, und die Hand, mit der er nach dem Schnappschuss griff, maß das Doppelte von meiner.
    Er starrte das Foto so lange an, dass ich mich schon zu fragen begann, ob seine Tigeraugen ein paar dicke Brillengläser benötigten. Schließlich legte er es zurück auf die Bar und schaute auf. „In dieser Stadt verschwinden häufig Leute. War schon immer so. Kein Wunder, mit all den Touristen, der Bourbon Street, dem Mardi Gras, dem Fluss, dem Sumpf, dem See …“ Er spreizte seine großen Hände und zuckte die Achseln.
    Ich würde ihm das einfach glauben müssen. Ich hatte nicht viele Erkundigungen über die Stadt eingezogen, bevor ich in den Flieger gestiegen war, sondern das bisschen Zeit, das mir blieb, auf den Versuch verwendet herauszufinden, woher der Umschlag gekommen war. Allerdings ohne Erfolg.
    Meine Adresse war sowohl in die Mitte als auch in die obere linke Ecke des Kuverts getippt worden. Es war eine Briefmarke darauf gewesen, aber kein Poststempel. Was mich zu der Annahme führte, dass jemand ihn heimlich in meinen Briefkasten gesteckt hatte.
    Aber warum?
    „Meine Schwester ist von zu Hause verschwunden“, klärte ich den Mann auf. „Aus Philadelphia.“
    „Da haben Sie aber eine weite Reise auf sich genommen.“
    Ich zuckte mit den Schultern. „Sie ist meine Schwester.“
    Schwestern können sowohl das Beste als auch das Schlimmste auf der Welt sein – das kommt ganz auf den Tag, die Stimmung, die Schwester an. Meine bildete da keine Ausnahme. Trotzdem würde ich für Katie bis ans Ende der Welt und wieder zurück laufen. Natürlich hatten wir uns auch gestritten, doch zugleich waren wir beste Freundinnen gewesen. Ich hatte so vieles mit ihr geteilt, dass ich mich ohne sie nur noch wie ein halber Mensch fühlte.
    „Nein, ich kenne sie nicht.“ Der Barkeeper lehnte sich zurück und nickte jemandem zu, der mit einer Handbewegung einen Drink orderte.
    „Sind Sie der Besitzer?“, erkundigte ich mich.
    „Nein, Ma’am. Da müssen Sie sich an John Rodolfo wenden.“
    „Und wo finde ich den?“
    Er nickte mit dem Kinn zum rückwärtigen Teil der Bar. „Er dürfte in seinem Büro sein.“
    Als ich in die angegebene Richtung steuerte, erfüllten Stimmengemurmel und das Klirren von Gläsern die hereinbrechende Nacht. Die Bühnenecke des Raums war verwaist; der heiße Saxophonist war weg.
    Meine Enttäuschung überraschte mich selbst. Ich hatte nicht die Zeit, hier herumzuhängen und mir Musik anzuhören, auf die ich eigentlich gar nicht stand. Verdammt, ich hatte noch nicht mal die Zeit, mir Musik anzuhören, auf die ich stand.
    Meine Arbeit war mein Leben, aber das störte mich nicht. Ich weiß nicht, was ich
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