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Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen

Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen

Titel: Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen
Autoren: Elli H. Radinger
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Dickhornschafe. Ich wanderte weiter über Stock und Stein, tief in das Cache Creek Gebiet hinein. Dabei achtete ich stets darauf, eine gute Sicht zu haben, um so eventuell Bären ausweichen zu können. Ich sang nicht, pfiff nicht und redete auch nicht laut mit mir selbst. Aber ich war sehr aufmerksam und hatte alle Sinne geschärft. Ein paar Bisons standen auf dem Weg und schauten mir zu, als ich sie weiträumig umging. Große Mengen Bisondung wiesen darauf hin, dass mein Wanderweg auch von den zotteligen Riesen geschätzt wurde.
    Bisher war das »gefährlichste« Tier, das mir begegnete, ein Dachs, unverwechselbar mit seinen Längsstreifen auf dem Kopf. Dachse sind wegen ihrer Angriffslust gefürchtet. Nur wenige Tiere legen sich mit ihnen an. Dieser hier war sich wohl seines Rufes bewusst und ließ sich beim Graben seines Baus nicht stören.
    Ohne schattenspendende Bäume wurde es schnell heiß. Also wieder Rucksack absetzen, Jacke ausziehen, Wasser trinken. Weiter. Der Beifuß verströmte einen intensiven Geruch und wuchs hier schon sehr viel höher. Kein Wunder, dass man aus der Ferne die Wölfe nicht sehen konnte, wenn sie zwischen den ein bis zwei Meter hohen Büschen hindurchliefen. Ich berührte die winzigen silbrigen Haare auf den kleinen Blättern. In wenigen Wochen würde der Beifuß blühen und die Ebene für kurze Zeit in ein gelbes Meer verwandeln, bevor |211| der heiße Sommer wieder alles austrocknete. Überall brummte und summte es. Am Himmel kreisten zwei Steinadler. Ich kam nur langsam voran, denn immer wieder blieb ich stehen, um ein neues Naturwunder zu bestaunen. Erdhörnchen setzten sich auf die Hinterbeine und schauten verwundert, als sie mich sahen. Mit einem kurzen Warnpfiff verschwanden sie in ihren Bauten, um gleich darauf an einer anderen Stelle der unterirdischen Tunnel wieder aufzutauchen. Ihre Neugier war größer als die Vorsicht.
    Nachdem ich etwa drei Stunden gewandert war, kletterte ich auf einen kleinen Hügel und wollte mir gerade eine Pause gönnen, als ich auf dem gegenüberliegenden Berg in etwa zwei Kilometer Entfernung zwei braune Punkte entdeckte, die sich schwerfällig bewegten. Schnell waren Hitze und Hunger vergessen. Durch das Fernglas sah ich zwei Grizzlybären – ein erwachsenes und ein etwa einjähriges Tier. Sie gruben nach Wurzeln und Würmern, drehten Steine um und fraßen.
    Der Griff nach dem Pfefferspray beruhigte mich, während ich die Bären weiter beobachtete. Langsam zogen sie in meine Richtung. Ich wollte gerade aufstehen und mich bemerkbar machen, da hatten sie schon meine Witterung aufgenommen. Mit erstaunlicher Geschwindigkeit drehten sie auf dem Absatz um, rannten den steilen Berg hinauf und verschwanden über die Bergkuppe. Niemals fühlte ich mich in dieser ganzen Zeit auch nur annähernd in Gefahr. Aber ich war hellwach – mit allen Sinnen. Fühlte mich wunderbar lebendig! Alles wurde plötzlich größer, präsenter. Das ist es, was Wildnis und die Begegnung mit wilden Tieren mit uns macht. Sie wirft uns zurück in unsere Urinstinkte, unsere Urangst.
    Hier war ein Tier, das einen Elch mit einem einzigen Schlag seiner Pranken töten konnte. Das einen liegenden Baumstamm mit den Krallen zu Staub zerriss, um an ein paar winzige Ameisen und Käfer zu kommen. Und dieses Tier lief in Panik vor einem Menschen davon.
    Ich hüte mich davor, die Flucht der Grizzlys für selbstverständlich zu nehmen und überheblich zu werden. Viel zu oft |212| glauben wir, dass wir die Wildnis kontrollieren können. Wir haben das Pfefferspray zu unserem Schutz und können mit dem Satellitentelefon Hilfe rufen, wenn wir uns verlaufen haben. Bis schließlich einmal etwas geschieht, das wir nicht erwartet haben.
    Im Mai 2010 wurden nachts auf einem Campingplatz in Cooke City drei Camper von einer Grizzlybärin mit drei Jungtieren in ihrem Zelt angefallen. Ein Camper wurde getötet, die anderen beiden verletzt. Die anschließende Untersuchung der US-Wildbehörde kam zu dem Ergebnis, dass es für die Bären keinen Grund gegeben hatte, anzugreifen. Weder hatten die Camper Lebensmittel in ihren Zelten, noch waren die Bären krank oder verletzt und dadurch verhaltensauffällig. Die Urlauber hatten alles richtig gemacht und waren wohl einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Die Grizzlybärin wurde eingeschläfert, ihre drei Jungen in einen Zoo gebracht. Dort werden sie nun bestaunt als »die Bären, deren Mutter einen Camper getötet hat«.
    Die Wildnis ist nicht berechenbar
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