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Wolfsinstinkt

Wolfsinstinkt

Titel: Wolfsinstinkt
Autoren: L Seidel
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Rucksack zu sich und fummelte den Verschluss auf. Gleich darauf hatte er seinen Zeichenblock und den Bleistift auf dem Schoß. Doch statt loszulegen, starrte er eine Weile auf das weiße Blatt und lenkte den Blick dann zurück zu dem Bild der tanzenden Flammen.
    Seine Gedanken kreisten wie grauer Nebel und er schaffte es nicht, einen von ihnen zu erfassen und sich näher mit ihm zu beschäftigen. Vielleicht war es die frische Luft, die er einfach nicht gewohnt war, oder er war lediglich komplett übermüdet. Aber egal, was ihn davon abhielt, zu denken oder gar zu arbeiten, es sorgte für eine angenehme Entspannung. So angenehm, dass er das Zeichenmaterial irgendwann einfach beiseiteschob und sich auf dem Teppich vor dem Kamin einrollte wie ein Hund.
    Morgen musste er einkaufen. Seine Schwester anrufen. Seine Kartons auspacken. Sich bei der Agentin melden. Den Weg freischaufeln. Mit diesen wirren Gedanken, die er nicht mehr zuordnen konnte, schlief er schließlich einfach ein.
     
    Zusammen mit Dave stand er vor seinem Lieblingsclub im Regen und fauchte den Türsteher an, der sie nicht einlassen wollte. Angeblich waren sie nicht passend gekleidet. Was bildete der Kerl sich eigentlich ein? Wusste er denn nicht, wen er vor sich hatte? Er war immerhin der aufstrebende Stern am Comic-Himmel, der neue Star, dessen gezeichnete Geschichten verkauft wurden wie warme Semmeln! Daves Hand, die sich beschwichtigend auf seinen Arm legte, schüttelte er genervt ab. Er wusste, dass Dave so ein Aufsta nd peinlich war, vor allem weil sich hinter ihnen eine Schlange bildete, in der die Wartenden zunehmend ungeduldiger wurden. Aus dem Streit wurde eine Handgreiflichkeit, in deren Verlauf der Türsteher ihn einfach aus der Schlange und auf den Gehweg zurückschubste. Ricky wollte auf den Mann losgehen, doch Dave hielt ihn fest. Seine Wut richtete sich nun auf seinen besten Freund aus Kindertagen.
     „Was ist mit dir nur passiert?“, fragte Dave vorwurfsvoll, was Ricky nur noch mehr erzürnte. „Ist dir der Erfolg so sehr zu Kopf gestiegen? Ich erkenne dich gar nicht wieder!“
    „Wenn dir mein Verhalten nicht gefällt, dann geh doch!“, schrie er Dave an. „Verpiss dich! Mit solchen Spießern will ich nichts mehr zu tun haben!“ Um seine Worte zu unterstreichen, stieß er ihm so kräftig vor die Brust, dass Dave überrascht nach hinten taumelte.
    „Du hast dich echt zu einem Arschloch entwickelt, Ricky!“, erwiderte Dave leise, doch selbst die fehlende Lautstärke konnte seine Enttäuschung nicht verbergen.
    Dave drehte sich um und lief zu seinem Auto, das er am Straßenrand geparkt hatte.
    Ricky war zu stolz, um ihn aufzuhalten. Wütend sah er zu, wie Dave in seinen Wagen stieg und mit quietschenden Reifen losfuhr. Die Straße glänzte vor Nässe, der Regen hatte sich zu einem Wolkenbruch entwickelt. An der Kreuzung sprang die Ampel von Rot auf Grün, Dave gab Gas. Aus der kreuzenden Straße schoss ein Mustang auf die Kreuzung.
    Ein Knall, das Kreischen von Blech, das sich ineinanderschob, helles Bersten von Glas. Menschen schrien auf, einige rannten auf die beiden Autos zu, viele zückten ihre Handys. Wahrscheinlich, um die Polizei und den Notarzt zu rufen. Eine kurze Weile später heulten entfernt Sirenen auf.
    Wie Ricky zur Unfallstelle gekommen war, wusste er nicht, doch er stand an Daves altem Suzuki, der auf einmal nur noch halb so lang war. Panisch versuchte er etwas zu erkennen, doch da waren lediglich seltsame gelbliche Schlieren, durchsetzt mit roten Fäden, ein Spinnwebenmuster an der Seitenscheibe. Er wurde weggezogen, fremde Stimmen redeten auf ihn ein, doch er verstand kein Wort von dem, was sie sagten.
    Krankenwagen und Feuerwehrautos mit wirr blinkenden Lichtern trafen ein, er wurde von Männern in Uniformen noch weiter zurückgedrängt. Mit einem seltsamen Gerät wurde die komplett demolierte Fahrertür von Daves Kleinwagen aufgeschnitten, wie in Zeitlupe zerrte einer der Feuerwehrmänner eine lebensgroße Puppe vom Fahrersitz aus ins Freie. Es musste eine Puppe sein, etwas anderes war gar nicht möglich, denn sie bewegte sich nicht mehr und ihr Gesicht … Ihr Gesicht fehlte.
    „Er ist tot!“, hörte er den Mann sagen, der die Dave-Puppe auf den Armen hielt.
    Ein wilder Aufschrei zerriss die Nacht.
     
    Ricky wachte jäh auf. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn. Er bekam keine Luft mehr und seine Ohren schmerzten von dem Krach. Es dauerte einige Sekunden bis ihm klar wurde, dass er es war, der den Krach
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