Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wolfsblut

Wolfsblut

Titel: Wolfsblut
Autoren: Jack London
Vom Netzwerk:
Feuerschein schlich von der Seite verstohlen ein Tier herbei, das einem Hunde auffallend ähnlich sah. Es bewegte sich mit einer Mischung von Argwohn und Kühnheit, beobachtete vorsichtig die Männer, richtete aber seine volle Aufmerksamkeit auf die Hunde. Einohr strebte am äußersten Ende des Stockes nach dem Eindringling hin und winselte kläglich.
    »Der Narr, der Einohr, scheint sich nicht sehr zu fürchten«, sagte Bill leise.
    »Es ist eine Wölfin«, flüsterte Heinrich zurück, »und das erklärt die Flucht des Dicken und des Frosch. Sie ist der Köder für das Rudel. Sie lockt die Hunde heraus, und dann stürzen sie sich alle drauf und fressen sie auf.«
    Das Feuer knisterte. Ein Stück Holz fiel mit lautem Geprassel heraus. Bei dem Geräusch sprang das fremde Tier ins Dunkel zurück.
    »Heinrich, ich glaube –«, fing Bill an.
    »Was denn?«
    »Ich glaube, das war die Bestie, der ich eins mit dem Knüttel versetzte.«
    »Ohne Zweifel«, war Heinrichs Antwort.
    »Und hier möchte ich mir die Bemerkung erlauben«, fuhr Bill fort, »daß die Vertrautheit des Tieres mit Lagerfeuern sehr verdächtig und unanständig ist.«
    »Es weiß ganz sicher davon mehr, als ein anständiger Wolf wissen sollte«, gab Heinrich zu. »Ein Wolf, der so viel weiß, daß er mit den Hunden zur Fütterung kommt, hat Erfahrungen gehabt.«
    »Der alte Villan hatte mal einen Hund, der zu den Wölfen auf und davon lief«, fuhr Bill nachdenklich fort. »Ich muß es wissen, denn ich schoß ihn da drüben im Rudel am ›Kleinen Stock‹ auf einer Elchweide, und der alte Villan weinte wie ein Kind. Er sagte, er hätte ihn drei Jahre lang nicht gesehen. Die ganze Zeit war der bei den Wölfen gewesen.«
    »Ich glaube, du hast den Nagel auf den Kopf getroffen. Der Wolf ist eigentlich ein Hund und hat manch liebes Stück Fisch aus der Hand eines Menschen gefressen.«
    »Wenn ich könnte, wie ich wollte, so sollte der Wolf, der eigentlich ein Hund ist, am längsten gelebt haben«, erklärte Bill. »Wir können nicht noch mehr Hunde verlieren.«
    »Aber du hast nur noch drei Patronen«, warf Heinrich ein.
    »Ich will auch auf einen ganz sicheren Schuß warten«, war die Antwort.
    Am Morgen schürte Heinrich das Feuer und kochte das Frühstück; während sein Kamerad noch schnarchte.
    »Ich konnt’s nicht übers Herz bringen, dich zu wecken«, sagte Heinrich, als er ihn darauf zum Frühstück rief. »Du schliefst so schön.«
    Bill fing schlaftrunken an zu essen. Er bemerkte, daß seine Tasse leer war, und streckte die Hand nach dem Kaffeetopf aus. Aber der Topf stand neben Heinrich und war zu weit entfernt.
    »Hör mal, Heinrich«, sagte er vorwurfsvoll, »hast du nicht etwas vergessen?«
    Heinrich blickte sich um und schüttelte den Kopf. Bill hielt ihm die leere Tasse hin.
    »Du kriegst keinen Kaffee«, verkündigte Heinrich.
    »Ist er alle geworden?« fragte Bill besorgt.
    »Das hoffe ich nicht.«
    »Denkst du, ich werde mir den Magen dran verderben?«
    »Ich hoffe auch das nicht.«
    Die Röte des Ärgers stieg in Bills Gesicht empor. »Dann möchte ich allerhöflichst bitten, daß du dich erklärst«, sagte er.
    »Treiber ist weg«, antwortete Heinrich.
    Ohne Hast und mit der Miene eines Menschen, der sich in sein Geschick ergibt, drehte Bill den Kopf herum und zählte von seinem Platze aus die Hunde.
    »Wie ist das geschehen?« fragte er ruhig.
    Heinrich zuckte die Achseln. »Weiß nicht. Wahrscheinlich hat Einohr ihn losgemacht. Selber hätt’ er’s nicht tun können, das ist sicher.«
    »Der verfluchte Spitzbub!« Bill sprach ernst und langsam ohne ein Zeichen des Ärgers, der in ihm tobte. »Weil er sich nicht selber losreißen konnte, mußte er’s mit Treiber tun.«
    »Na, Treibers Müh und Arbeit ist jedenfalls vorbei. Wahrscheinlich ist er um diese Zeit schon verdaut und galoppiert im Bauche von zwanzig Wölfen im Lande umher«, war Heinrichs Grabrede auf diesen letzten verlorenen Hund. »Trink einen Schluck Kaffee, Bill.« Aber Bill schüttelte den Kopf.
    »So sei doch nicht närrisch«, nötigte Heinrich und hob den Topf in die Höhe.
    Doch Bill schob die Tasse zur Seite. »Ich ließe mich eher hängen, als daß ich’s täte. Ich habe gesagt, ich wollte keinen Kaffee, wenn ein Hund fehlte, und ich will auch keinen.«
    »Der Kaffee ist aber verdammt gut«, meinte Heinrich.
    Aber Bill war eigensinnig und aß sein Frühstück trocken, indem er es nur mit den gemurmelten Flüchen über den Streich, den Einohr ihm gespielt hatte,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher