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Wohin mit mir

Wohin mit mir

Titel: Wohin mit mir
Autoren: Sigrid Damm
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ist mir nach der Wende vielfach begegnet. Wenn ich von den hellen Nächten in Leningrad, von Moskau, vom Balaton oder vom Schwarzen Meer erzählte: Schweigen. War das nicht auch die Welt? Die Teilung in Ost und
West hatte also nicht nur für mich existiert. Aber während, wie mir schien, die aus dem Osten hastig schlingend sich den Westen einzuverleiben suchten – Spanien, Italien, Mallorca, die Türkei die bevorzugten Ziele –, war dieselbe Gier in die andere Richtung keineswegs zu beobachten. Goethe, sagte mein Verleger dann, das Schweigen beendend, habe zweimal auf der Paßhöhe des Gotthard gestanden und sei umgekehrt. Erst beim dritten Anlauf habe er die Alpen zu übersteigen vermocht, habe Arkadien, sein Sehnsuchtsland erreicht.
    Vor dem Dreieck Inntal verlassen wir die Autobahn, wir sind hungrig, es wird Abend, wir müssen uns eine Bleibe für die Nacht suchen. Ein Landgasthof, ein Zimmer mit einem Himmelbett, auf seinem Baldachin tummeln sich aufgemalte pausbäckige Engel. In der Gaststube ein kräftiges Mahl, auf fast allen Tischen, auch auf dem unseren, die Maß Bier – wir sind in Bayern. Als wir vor die Tür des Gasthofs treten, um noch einen Abendgang durchs Dorf zu machen, geht ein heftiger Gewitterguß mit Graupel und Hagelkörnern nieder. Dann bewachen die pausbäckigen Engel unseren Schlaf.
     
    7. Juli
    Der Tag der Alpenüberquerung. Innspruck liegt herrlich in einem breiten reichen Thal zwischen hohen Felsen und Gebirgen. Goethe. Von Innspr. herhauf wird's immer schöner. Da hilft kein Beschreiben. Fünfeinhalb Stunden brauchte Goethe von Innsbruck bis zum Brenner. Von Innsbr fuhr ich um 2 Uhr ab und war halb achte hier.
    Das Inntal-Dreieck. Richtung Innsbruck. Wir kaufen
eine Autobahn-Vignette für Österreich, tanken. Das Auto verliert Öl, keine Panik, sagt der Fahrer. Keinerlei Kontrollen an den Grenzen. Wir gewinnen an Höhe, sind wir schon auf dem Brenner? Das Handy klingelt. Tobias meldet sich, kein Wort, wo er sich befindet, er spricht, als sei er an seinem Arbeitsplatz in Berlin, nimmt einen umfangreichen Auftrag eines Kunden entgegen. Das unaufhörliche Dröhnen und Rauschen des Verkehrs. Das hohe Tempo, mit dem alle fahren. Auf der rechten Spur versperren die Lastwagen mit ihren Anhängern den Blick. Dann für Sekunden ein Schild: Brénnero/Brenner . Tobias verlangsamt das Tempo, heftiges Hupen hinter uns, er läßt sich nicht beirren, steuert auf die nächste Abfahrt zu, verläßt die Autobahn. Ich bin überrascht. Das Öl? Er schüttelt den Kopf. Goethe sei auch nicht auf einer achtspurigen, sich auf riesigen Betonstelzen befindlichen Autobahn gereist; wir nehmen die alte Brennerstraße, sagt er.
    Der Reisende zweihundert Jahre vor uns verweilte auf dem Gebirgsscheitel. Am Abend des 8. September 1786 schreibt er an Charlotte von Stein: Wie sonderbar daß ich schon zweymal auf so einem Punckte stand, ausruhte und nicht hinüber kam! Die Erinnerung an die Umkehr im Juni 1775, er zeichnete auf der Paßhöhe des Gotthard den »Scheide Blick nach Italien«. Die zweite Umkehr im November 1779 als Begleiter des Weimarer Herzogs nach einer Wanderung von Chamonix über die Furka. Auch im Herbst 1786 zweifelt er, ob ihm die Alpenüberquerung gelingen werde. Auch glaub ich es nicht eher als bis ich drunten bin.
    Er übernachtet auf der Paßhöhe. Macht Notizen, die
er numeriert. Note a. Gedancken über die Witterung. – Note b. Über Polhöhe, Clima pp. – Note c. Über Pflanzen, Früchte pp. – Note d. Von Gebürgen und Steinarten. Der Blick des Ilmenauer Bergwerkskommissars auf die Erdformationen; von grauem Kalck , von Glimmerschiefer , von der Granitart Gneis ist die Rede. Granit selbst habe ich noch nicht gefunden.
    Zusammenfassend heißt es: Zu meiner Weltschöpfung hab ich manches erobert.
    Als letztes: Note e. Menschen. Ihm fallen bey den Weibern … sehr gut gezeichnete schwarze Augbrauen auf, bey den Männern … blonde Augbrauen und breite. Die Kopfbedeckungen der Weiber sagen ihm nicht zu: weise, baumwollene, zotige, sehr weite Mützen, wie unförmige MannsNachtmützen , die der Männer dagegen sehr: Die grünen Hüte geben zwischen den Bergen ein fröhliches Aussehen. Er beobachtet, daß fast jeder eine Feder am Hut trägt, vor allem Pfauenfedern seien bei den gemeinen Leuten beliebt. Sein Rat an Reisende, solche Federn mit sich zu führen. Dann könne man statt eines kleinen Trinckgelds ein groses ohne Unkosten geben.
    Über den Jaufenpaß und Meran kommen wir in eine Ebene,
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