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Wir waren unsterblich (German Edition)

Wir waren unsterblich (German Edition)

Titel: Wir waren unsterblich (German Edition)
Autoren: Raimon Weber
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stoßen. Und vor Spielzeugmonstern und dem Märchenbuch mit den düsteren Tuschezeichnungen. Ich verspürte den Drang, Töffel zu trösten. Ich machte einen Schritt auf ihn zu, doch er wich zurück. „Was machen wir jetzt? Was machen wir jetzt?“, stammelte er.
    „Ruhig!“, mahnte Hilko. Seine Stimme klang fast wieder normal. Er wischte sich über die Augen, als könnte ihm das helfen, den Alkohol zu vertreiben. „Was immer Markus letzte Nacht fotografiert hat, es kann unmöglich diese Handpuppe sein.“
    Töffel sagte nichts, er schneuzte sich und zitterte.
    „Wir könnten doch nachsehen, ob die Puppe noch in eurem Keller liegt“, schlug Leo vor. Töffel dachte kurz darüber nach. „Nur, wenn ihr alle mitkommt“, schluchzte er. „Macht ihr das?“
    „Machen wir“, sagte Leo.
    „Auf jeden Fall“, stimmte ich eifrig zu. „Und dann sollten wir einfach nie mehr hierher kommen. Wir vergessen die ganze Sache.“
    „So einfach ist das nicht.“ Markus hielt das Foto hoch. „Das Ding behauptet, es hätte Charlie erledigt.“
    „Es war ein Unfall!“, entgegnete ich heftig. „Du warst doch dabei!“
    „Und das Firmenzeichen von Charlies Zündapp? Wie kommt das in den Keller?“
    „Keine Ahnung!“ Ich verlor langsam die Beherrschung. „Ich weiß nur, dass wir irgendwann alle durchdrehen, wenn das so weitergeht. Also, halt bitte die Klappe, Markus!“
    Der Regen ließ nach, bis nur noch vereinzelt die Tropfen auf das Dach pochten. Das unruhige Schlagzeugsolo, das uns die ganze Zeit begleitet hatte, war beendet. Töffel starrte zur Decke, als gäbe es dort etwas Faszinierendes zu sehen. Über unseren Köpfen zog ein schwarzer Vogel seine Runde. Ganz ruhig, ohne das hektische Flattern seiner Artgenossen, wenn sie sich in einen Raum verirrt hatten. Er landete auf einem Dachbalken, wippte ein wenig und stierte uns an. Es war still. Die gesamte Szene schien wie eingefroren.
    Holz zerbrach. Ganz in der Nähe. Mit einem trockenen Splittern. Leo schrie auf – versuchte sich sogleich mit der Hand zum Schweigen zu bringen. Zu spät. Der Laut war heraus und unter uns wurden schnelle Schritte laut. Begleitet von heiserem Atmen.
    Markus öffnete den Mund zu einer stummen Frage. Leo sah sich hektisch nach allen Seiten um. „Wer ... was?“, gurgelte Hilko und Töffel stieß ein kurzes, panisches Quieken aus, das ich nie vergessen würde.
    Jetzt waren Schritte auf der Treppe zum Heuboden. Leo hastete zu dem Loch in der Mauer aus Stroh. Dahinter konnte er durch das Fenster klettern, auf das federnde Dach des Vorbaus springen und sich auf den nassen Acker fallen lassen. Markus folgte ihm. Ich drehte mich im Kreis, ratlos, welchen Weg ich wählen sollte. Hilko war nirgends zu sehen. Töffel stolperte mit ausgebreiteten Armen durch das Heu. Er stieß immerzu diese quiekenden Laute aus. Wie ein gehetztes Tier. Ich wollte zu ihm. Im nächsten Moment war er einfach verschwunden. Ich wurde grob herumgerissen. Zwei Fäuste packten mich an den Schultern. Es schmerzte. „Hab ich dich!“, bellte der Mann und schleuderte mir seinen Speichel ins Gesicht.
    Ich versuchte mich zu befreien, trat nach ihm und erhielt eine Ohrfeige, die meinen Kopf zur Seite fegte. Tränen schossen mir in die Augen. Ein zweiter Mann stand auf dem Treppenabsatz und grinste schafsmäßig. Ich hatte ihn schon ein paar Mal von Weitem gesehen. Es war der Knecht von Bauer Grote. Ich zappelte im Griff seines Chefs. Grote zerrte mich die Treppe hinunter. Ich stammelte unzusammenhängende Worte. Der Knecht lachte und plötzlich machte er sich sprungbereit wie eine Raubkatze vor dem Angriff. Er hatte Hilko entdeckt.
    Hilko wandte uns den Rücken zu. Ich wollte ihn warnen, da drehte er sich zu uns um und trat einen Schritt zur Seite. Der Knecht brach seinen Angriff ab, stieß ein Zischen – eine Mischung aus Überraschung und Ekel – aus und ich spürte, wie die Hände des Bauern kraftlos von mir glitten. Mein Körper fühlte sich ganz taub an, langsam setzte ich einen Fuß vor den anderen.
    „Ruf den Krankenwagen!“, rief der Bauer und sein Knecht hetzte davon. Hilko weinte tonlos. Er sah mich an und griff nach der kleinen Hand neben ihm. Babypfoten hatte sie Markus einmal im Scherz genannt. Die Finger spreizten sich ganz weit auseinander. Es war noch Leben in ihnen. Ich zwang mich dazu in Töffels Gesicht zu blicken. Er hielt die Augen geschlossen und hustete. Winzige, rote Tröpfchen spritzten dabei aus seinem Mund. Aus seiner Brust ragten vier spitze
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