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Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)

Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)

Titel: Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)
Autoren: Astrid Herbold
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Alkohol zu sich genommen hat.
    Die kleine Mitbewohnerin glaubt es gnädig. An diesem Morgen. An den folgenden schon nicht mehr. Was sicher auch daran liegt, dass die Mama und der alte Mann in ihrer Anwesenheit nun nicht mehr jeden Hautkontakt vermeiden. Sondern die Anzeichen von Vertraulichkeit sogar von Tag zu Tag in kleinen Dosen erhöhen. Sprich: Die Begrüßungs- und Verabschiedungsküsschen werden bei jedem Besuch um ein paar Sekunden länger. Und wenn sie nebeneinander am Tisch sitzen, streichelt Mama dem alten Mann ununterbrochen übers Gesicht. Und der alte Mann hat dauernd seine Hand an Mamas Rücken. Unter ihrem Pulli! Abends auf der Couch liegt sie in seinen Armen und morgens im Bett sowieso. Die Pferdenärrin kann es kaum mit ansehen, ohne sich zu ärgern. Und zu schütteln. Täglich fragt sie laut und entnervt, warum »der jetzt so oft hier ist«. So, dass er es auch hören kann. Aber irgendwann traut Mama sich zu antworten: »Weil ich ihn ziemlich nett finde. Und weil ich möchte, dass er hier ist.«
    »Aber ich nicht«, kommt es bockig zurück. Was übrigens deutlich zu erkennen ist. Anders als in zweitklassigen ZDF-Produktionen haben echte Kinder nämlich keinerlei Interesse daran, dass sich ihre Single-Eltern nach andersgeschlechtlichen Spielgefährten umsehen. Denn einerseits mögen Kinder sowieso am liebsten Eltern, die nie und nimmer den Verdacht erwecken, noch in irgendeiner Form sexuell aktiv zu sein. Andererseits sieht kein Kind ein, warum einer allein erziehenden 38-Jährigen irgendwas abgehen könnte. Sie hat doch schließlich ihr Kind. Wozu braucht sie da noch einen Typen? Für den ist hier weder Raum noch Zeit.
    Um der Mutter und dem alten Mann das ein für alle Mal klarzumachen, hat sich die Pferdenärrin auf die spontane Inszenierung von Stand-up-Tragödien verlegt. Vorhang auf: Eine kleine Wohnküche, ein bisschen unordentlich, aber gemütlich eingerichtet. Ein Mädchen sitzt am Tisch und malt. Im Hintergrund ein Mann auf einem Sofa, er liest Zeitung. Aus dem Nebenzimmer hört man die Mutter telefonieren. Das Mädchen blickt auf und ruft: »Mama, kannst du mir eine Orange schälen?«
    »Mama telefoniert gerade. Aber kann ich doch auch machen.«
    »Nein, Mama soll.«
    »Guck mal hier, schon fertig.«
    »Will ich nicht.«
    »Aber du wolltest doch gerade eine.«
    »Nein.«
    An dieser Stelle: Auftritt Mama. Achselzucken seitens des Mannes, was meint: Bin mir keiner Schuld bewusst. Heulen, theatralisches Papierzerknüllen und Orangenschnitze-Wegschieben seitens des Mädchens: Mir, meiner Kreativität und meinen leiblichen Grundbedürfnissen wurde großes Unrecht angetan.
    So geht es morgens, mittags, abends. Die allein erziehende Frau nimmt es zunächst sportlich – und als Anlass zum Kräftemessen. Es wäre doch gelacht, wenn in diesem Theater nicht künftig nach ihren Regieanweisungen die Puppen tanzen würden. Wozu hat sie das Manipulieren von Mitmenschen jahrelang am ahnungslosen anderen Geschlecht geübt, wenn es ihr jetzt nicht gelingen sollte, einer blümchenmalenden Achtjährigen einen orangepellenden 42-Jährigen schmackhaft zu machen?
    Ihre Strategie dafür ist bestens ausgearbeitet und sieht folgende Schritte vor: zuerst Verhinderung weiterer blutiger Aufstände und erbitterter Verteilungskämpfe, dann kontinuierliche Präsenz eines mütterlichen Friedenswächters, der die Gründung Runder Tische fördern und auf lange Sicht friedlich-demokratische Strukturen aufbauen soll.
    Anfänglich verläuft die Entwaffnung der Kindersoldatin – die mit ihren Tränen auf Kommando durchaus auch als Schauspielerin Karriere machen könnte – schleppend. Rückschläge sind an der Tagesordnung: »Mama, du sollst neben mir sitzen. Nicht Robert.«
    »Ist doch egal, wer wo sitzt.«
    »Nein, ist nicht egal, Mama soll neben mir sitzen.«
    »Gut, dann setz ich mich eben auf die andere Seite.«
    »Da nicht.«
    »Wieso nicht?«
    »Darum. Da soll frei bleiben.«
    »Jetzt reicht’s aber. Ich darf mich ja wohl auch hier irgendwo hinsetzen.«
    »Aber nicht da.«
    Und so weiter. Manchmal hätte die Friedenswächterin am liebsten beide in einen Sack gesteckt und draufgehauen. Es hätte sicher nie den Falschen getroffen. Aber die Friedenswächterin schluckt und schlichtet. Und schlichtet und schluckt. Nach drei Monaten ist sie reif für einen erweiterten Selbstmord oder eine Schreitherapie in den Wäldern Kanadas.
    Bis sie eines Morgens mit Staunen entdeckt, dass anscheinend niemand niemanden zum Heulen
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