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Wir nannten ihn Galgenstrick

Titel: Wir nannten ihn Galgenstrick
Autoren: Unbekannter Autor
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Abend gebildet hatte, obwohl sie zwanzig Jahre lang neben dem erloschenen Herd trockneten. Eines Tages ging ich sie holen. Das war, nachdem sie die Türen schlössen, und vom Türsturz das Brot herunterholten und den Aloezweig und die Möbel fortschafften. Alle Möbel mit Ausnahme des Eckstuhls, der mir während dieser ganzen Zeit als Aufenthaltsort gedient hat. Ich wußte, daß die Schuhe zum Trocknen hingestellt worden waren und daß sie sich nicht einmal daran erinnerten, als sie das Haus verließen. Daher ging ich sie holen.
    Sie kehrte viele Jahre später zurück. Es war soviel Zeit verflossen, daß der Moschusgeruch des Zimmers sich mit dem Staubgeruch, mit dem trockenen minimalen Hauch von Insekten vermengt hatte. Ich war allein im Haus und saß in meinem Winkel, wartend. Ich hatte das Geräusch des modernden Holzes zu unterscheiden gelernt, das Flattern der in den verschlossenen Alkoven alternden Luft. Dann also kam sie. Sie war in der Tür mit einem Köfferchen in der Hand stehen geblieben, sie trug einen grünen Strohhut und das gleiche Baumwolljäckchen, das sie seitdem nicht mehr abgelegt hat. Sie war noch ein junges Mädchen. Sie hatte noch nicht begonnen, dick zu werden, noch waren ihre Fußknöchel unter den Strümpfen wie heute geschwollen. Ich war mit Staub und Spinnweben bedeckt, als sie die Tür öffnete und die Zikade irgendwo im Zimmer verstummte, die zwanzig Jahre lang gezirpt hatte. Doch trotz alldem, trotz der Spinnweben und des Staubs, der plötzlichen Reue der Zikade und des neuen Alters der Neuangekommenen, erkannte ich in ihr das Kind wieder, das mich an jenem stürmischen Augustabend begleitet hatte, um im Stall Nester auszunehmen. So wie sie da in der Tür stand, ihr Köfferchen in der Hand und den grünen Strohhut auf dem Kopf, sah es aus, als würde sie sogleich losschreien, dasselbe sagen, was sie gesagt hatte, als man mich im Stroh des Stalls auf dem Rücken liegen fand, den Querbalken der entzweigebrochenen Treppe fest umklammert. Als sie die Tür ganz geöffnet hatte, knirschten die Angeln und der Staub fiel schubweise von der Decke herunter, als habe jemand hartnäckig gegen den Dachfirst geklopft, und dann zögerte sie auf der Schwelle zur Helligkeit, schob danach den Körper halb ins Zimmer hinein und sagte mit der Stimme eines Menschen, der einen Schlafenden ruft: »Kind! Kind!« Und ich verharrte still auf meinem Stuhl, starr, mit ausgestreckten Füßen.
    Ich glaubte, sie käme nur, um das Zimmer zu sehen, doch sie blieb im Hause wohnen. Sie lüftete den Raum, und es war, als habe sie ihr Köfferchen geöffnet und ihr alter Moschusgeruch sei daraus entwichen. Die anderen hatten die Möbel und die Wäsche in den Truhen mitgenommen. Sie hatte nur die Gerüche des Schlafzimmers mitgenommen; und zwanzig Jahre später brachte sie sie wieder mit, verteilte sie an die richtigen Stellen und baute den kleinen Altar wieder auf; genau wie früher. Allein ihre Gegenwart genügte, um das wiederherzustellen, was der unerbittliche Arbeitseifer der Zeit zerstört hatte. Seit damals ißt und schläft sie im Raum nebenan, verbringt jedoch ihre Tage in diesem und hält stillschweigende Zwiesprache mit den Heiligen. Nachmittags setzt sie sich in den Schaukelstuhl neben der Tür und flickt Wäsche, während sie die Leute bedient, die Blumen bei ihr kaufen wollen. Sie schaukelt immer, während sie Wäsche flickt. Und wenn jemand wegen eines Straußes Rosen kommt, verwahrt sie die Münzen im Zipfel des Taschentuchs, das sie an ihren Gürtel verknotet und sagt jedes Mal: »Pflücken Sie welche an der rechten Seite, die auf der linken sind für die Heiligen.« Und so sitzt sie seit zwanzig Jahren im Schaukelstuhl und flickt ihre Sächelchen, sie schaukelt sich, blickt zum Stuhl hinüber, als habe sie nun nicht mehr für den kleinen Jungen zu sorgen, der mit ihr die Nachmittage der Kindheit geteilt hat, sondern für den invaliden Enkel, der hier ist und in der Ecke sitzt, seit die Großmutter fünf Jahre alt war.
    Es wäre möglich, daß ich mich jetzt, wenn ich wieder den Kopf senke, den Rosen nähern kann. Wenn es mir gelingt, werde ich zum Hügel gehen, werde sie auf das Grabmal legen und zu meinem Sitz zurückkehren und auf den Tag warten, an dem sie nicht ins Schlafzimmer zurückkehrt und die Geräusche in den Nebenräumen verstummen.
    An diesem Tag wird eine Veränderung in alldem vor sich gehen, denn dann werde ich wieder das Haus verlassen müssen, um jemand mitzuteilen, daß die Frau mit den
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