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Wir Middle-Ager -Unsere besten Jahre

Wir Middle-Ager -Unsere besten Jahre

Titel: Wir Middle-Ager -Unsere besten Jahre
Autoren: David Bainbridge
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Zugriff auf einen gemeinsamen Gen-Werkzeugkasten mit molekularen Schraubenschlüsseln und Eiweiß-Schraubenziehern, die ganz unterschiedlich und je nach Bedarf eingesetzt werden können. Es gibt sogar eine ganze Reihe von Genen, die so nützlich sind, dass sie bei der Entwicklung eines Körpers mehrmals Verwendung finden  – ein einzelnes Gen kann demnach an der Bildung so unterschiedlicher Körperteile wie etwa Gehirn, Leber, Knochen oder Hoden beteiligt sein. Vermutlich ist diese Wiederverwendung ein und desselben Gens der Grund dafür, dass wir mit der geringen Anzahl von 23 000 Genen auskommen. Wobei diese multifunktionalen Gene natürlich äußerst sorgfältig eingesetzt werden müssen. Sonst kann es nämlich sein, dass man die Hoden im Kopf hat.
    All diese entwicklungsbiologischen Entdeckungen haben das Bild, das wir von uns selbst haben, stark verändert. Aber zwei wichtige Dinge darf man nicht vergessen, wenn man über die Kontrolle spricht, die die Gene über die Bauweise unserer Körper haben. Für die Entwicklungsbiologie sind diese beiden Dinge irrelevant, aber für uns sind sie entscheidend, denn wir interessieren uns für das mittlere Alter – und das mittlere Alter ist nun mal etwas Besonderes.
    Als Erstes sollte uns nicht irritieren, dass die Entwicklungsbiologie sich weitgehend auf das konzentriert, was vor der Geburt geschieht. Denn das liegt einfach an dem ursprünglichen Antrieb dieser Wissenschaft: herauszufinden, wie aus einem unscheinbaren Ding wie einer befruchteten Eizelle ein spektakuläres Ding wie ein Baby entstehen kann. Natürlich beschränkt sich die Entwicklung nicht auf Embryos und Föten – auch nach der Geburt stehen zahlreiche Entwicklungen an. Die postnatale Entwicklungist genauso wichtig und genauso Gen-gesteuert wie die pränatale,  auch wenn sie ein bisschen langsamer vonstatten geht. Beispielsweise wächst das Gehirn in den ersten beiden Lebensjahren im selben Ausmaß wie vor der Geburt. Nach langer Pause durchlaufen zu Beginn des zweiten Lebensjahrzehnts ganz plötzlich die Fortpflanzungsorgane eine rasante Entwicklung. Das Wachstum unserer Arm- und Beinknochen erfolgt schubweise und erstreckt sich über zwei Jahrzehnte. Aber damit ist die Entwicklung längst nicht abgeschlossen. Ein Grundgedanke dieses Buches ist, dass das Entwicklungsprogramm weder mit der Geburt abgeschlossen ist, noch mit dem Ende der Pubertät oder dem Erreichen der vollen Körpergröße. Die genetische »Lebensuhr« tickt ohne Unterlass, und der Mensch entwickelt sich bis weit ins Erwachsenenalter hinein. Wir werden sehen, dass es eine Kette echter genetischer Ereignisse gibt, die weit genug reicht, um im späteren Leben Dinge wie die Menopause oder den mittleren Lebensabschnitt quasi »auszulösen«. Man denke nur an die männliche Körperbehaarung, die sich beständig verändert und fortentwickelt, und zwar über die gesamten ersten sechzig Lebensjahre. Anders lassen sich derart spezifische und deutliche Veränderungen einfach nicht erklären  – und schon gar nicht als Begleiterscheinungen irgendeines unkontrollierten Verfalls oder einer Alterung. Ein Mensch mittleren Alters muss sich genauso weiterentwickeln, wie ein ungeborener Fötus es tut  – im anderen Fall würden Menschen um die fünfzig nur wie zerknitterte Zwanzigjährige aussehen. Mag man mit vierzig auch ausgewachsen sein, die Entwicklung ist längst nicht abgeschlossen.
    Als Zweites möchte ich auf eine außergewöhnliche Eigenschaft des menschlichen Gehirns hinweisen. Das Gehirn spielt eine entscheidende Rolle, weil wir eine sehr intelligente und eine sehr soziale Spezies sind. Und es zeichnet sich dadurch aus, dass es – abweichend von anderen Organen – auf Veränderungen in anderenKörperteilen reagiert. Betrachten wir einmal das Sozial- und Sexualverhalten bei Frauen mittleren Alters. Ganz offensichtlich denken und handeln Frauen mittleren Alters anders als jüngere Frauen, und wir könnten annehmen, dass das an genetischen und zellulären Veränderungen im Gehirn liegt. Es gibt jedoch noch einen weiteren Faktor, der sich auf das Verhalten der Frauen auswirkt: Das Gehirn registriert alle Veränderungen im eigenen Körper. Im Gegensatz zu den anderen Organen reagiert das Gehirn auf das, was es vom Körper wahrnimmt, zu dem es selbst auch gehört  – es ist sozusagen »selbst-bewusst«. Ob man jung und hübsch oder alt und eingefallen aussieht, ist von großer Bedeutung für unsere Selbst-Wahrnehmung, unsere Haltung
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