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Wir Kinder von Bergen-Belsen

Wir Kinder von Bergen-Belsen

Titel: Wir Kinder von Bergen-Belsen
Autoren: Hetty E. Verolme
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Lehrer ersetzten die nichtjüdischen. Es war ein trauriger Tag, als Herr Douwes, unser Direktor, und Herr Tettelaar, unser Lieblingslehrer, auf diese Weise ausgetauscht wurden. Alle Schüler hatten sie geliebt und respektiert. Als Herr Tettelaar gehen musste, ließen sich zwanzig von uns, unter ihnen meine Freundinnen Sonka und Blondie, beim Fotografen am President Steynplantsoen fotografieren. Mit dem fertigen Foto gingen wir zu Herrn Tettelaar nach Hause. Und obwohl der Besuch von Juden verboten war, lud uns Herr Tettelaar ein zu bleiben und wir verbrachten einen wunderbaren Nachmittag mit ihm und seiner Frau. Das Foto aber bekam einen Ehrenplatz an der Wand seines Wohnzimmers.
    28. Februar 1943
    Viele ältere Juden versteckten sich mit vorgetäuschten Krankheiten in Kliniken, um nicht in eines der Lager in Deutschland oder Polen geschickt zu werden. Inzwischen hatten wir schon eine Ahnung, dass die Deutschen mit uns nichts Gutes im Sinn hatten, denn wir hatten nie wieder etwas von denen gehört, die mit dem Befehl, in Deutschland zu arbeiten, weggegangen waren. Auch die Familienmitglieder oder Freunde jener Menschen, die bei den Razzien während der letzten schrecklichen Monate aus ihren Wohnungen abgeholt worden waren, wussten nicht, was mit den Deportierten geschehen war.
    Der Vater meines Vaters war im Krankenhaus, da er wochenlang an einer lebensbedrohlichen Infektion gelitten hatte. Nun war er auf dem Weg der Besserung, aber noch immer musste die schmerzhafte Wunde an seinem Gesäß täglich gereinigt werden. Meine Großmutter, Oma Hetty, befand sich ebenfalls im Krankenhaus, aber nicht, weil sie krank war, sondern weil es für sie zu gefährlich war, in ihrer Wohnung zu bleiben.
    Schon seit Tagen kursierten Gerüchte darüber, dass die Deutschen die jüdischen Krankenhäuser evakuieren wollten. Meine Eltern waren so besorgt, dass sie beschlossen, meine Großeltern nach Hause zu holen. Sie liehen sich von einem »guten« Holländer auf dem Markt einen Schubkarren, und der Mann bot sogar an, meine Großeltern sicher nach Hause zu bringen. Zusammen gelang es ihnen, meinen noch immer schwer kranken Großvater samt seiner Matratze auf den Schubkarren zu laden. Großmutter Hetty saß neben ihm. Nach etwa zwei Stunden kamen sie bei uns zu Hause an, und mein Großvater wurde ins Bett gelegt, wo er sich ausruhen konnte. Das Krankenhaus hatte meine Mutter mit viel Verbandsmaterial und Medikamenten versorgt, und die Krankenschwester hatte ihr erklärt, wie man die Wunde sauber hielt. Nach einer gewissen Verlegenheit, als meine Mutter zum ersten Mal das Gesäß meines Großvaters berühren musste, wurde sie dann eine so gute Pflegerin, dass mein Großvater zwei Wochen später wieder ganz geheilt war. Meine Großmutter konnte meiner Mutter nicht genug danken, denn sie war unfähig gewesen, diese unangenehme Aufgabe selbst zu übernehmen.
    Am 1. März 1943 fanden in allen jüdischen Krankenhäusern Razzien statt. Die Deutschen kannten kein Erbarmen und belud
    en die Lastwagen mit schwer kranken Menschen.
    Unser Sportclub Bato organisierte einen Wettkampf mit den anderen noch existierenden Clubs, er sollte am Sonntag, dem 20. Juni 1943 stattfinden. Ich hatte auf dem Sportplatz neben unserer Schule wochenlang an Ringen und am Barren trainiert und meinte, eine gute Chance zu haben, zu gewinnen. In der Nacht vor dem Wettkampf legte ich meinen Turnanzug und alles, was ich brauchte, zurecht.
    Am Sonntagmorgen wachte ich früh auf, es war ein strahlender Sommertag. Plötzlich fuhren Autos mit Lautsprechern durch die Straßen und verkündeten, dass sich alle Juden für einen sofortigen Abtransport bereitmachen müssten. Ich rannte zum Fenster und konnte viele grün Uniformierte sehen, unterstützt von Männern, die, wie wir später herausfanden, Sicherheitsbeamte des Durchgangslagers Westerbork waren. Auch waren viele niederländische Nazis dabei, die für jeden gefangenen Juden sieben Gulden fünfzig Kopfgeld erhielten.
    Das ganze Viertel war von der SS umstellt und abgeriegelt, sodass niemand entkommen konnte. Die restlichen Bewohner wurden aufgefordert, in ihren Wohnungen zu bleiben. Schwer bewaffnete Uniformierte gingen von Tür zu Tür, kontrollierten Ausweise und andere Dokumente. Dann trieben sie die Leute aus ihrem Heim zu einem Gelände gegenüber unserer Straße. Die Menschen wurden gezwungen, sich in einer langen Schlange an der Ecke der Hofmeyerstraat und President Steynstraat aufzustellen, bewacht von deutschen
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