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Wintermaerchen

Wintermaerchen

Titel: Wintermaerchen
Autoren: Mark Helprin
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Ganzes wirkte, wie eine Reiterstatue, die ein Kubist oder – Craig Binky hätte es wohl so ausgedrückt – ein »Kubaner« gestaltet hat.
    Er beabsichtigte, so etwas wie eine Inspektion durchzuführen. Von der Straße aus hatte er oftmals erlebt, wie ein Automechaniker im Beisein des schweigsamen und eingeschüchterten Besitzers einen Wagen hochkurbelte und dessen Innereien von unten her überprüfte. So verfuhr Athansor nun mit sich selbst. Er war jedoch kein Mechaniker und auch kein Tierarzt, Anatom oder Flugingenieur, was der Sache schon nähergekommen wäre. Alles schien vollkommen in Ordnung zu sein: Seine Hufe glänzten, schwarz und hart; seine Muskeln waren straff; die Sehnen unter seinem Fell waren so stark wie Stahlseile, sein Bauch fest und stromlinienförmig.
    Von der Tatsache ermutigt, dass nichts zu fehlen schien, machte er einen neuen Versuch. Wenn er den Weg zum Belvedere hinaufrasen, dann über den Fluss hinweg und an den ragenden Ruinen der Fifth Avenue vorbeisegeln würde, könnte er in einer atemberaubenden Schleife nach Süden abbiegen.
    Die Steigung des Weges bewältigte er ohne jegliche Schwierigkeiten, auch dessen Stufen und Biegungen waren kein Hindernis. Wenn die Fliehkraft ihn aus einer Kurve zu tragen drohte, stemmte er sich mit seinen vier Hufen gegen die grasbewachsenen Wegränder und stürmte weiter, als ginge es einen Berg hinunter. Als er oben ankam, sprang er über die flache Plattform aus Stein und katapultierte sich mit der geballten Kraft seiner geduckten Hinterhand in die Luft. Es ging hoch hinaus, und verzaubert erlebte er den herrlichen leichten Aufwind, wie ihn die Engel spüren. Und dann begann er zu fallen.
    Aber es war beileibe nicht das kontrollierte Gleiten, mit dem er sonst zu landen pflegte, kein Fallen, bei dem jeder furchtsame Augenblick einen Waffenstillstand mit der Schwerkraft gebracht hatte, bis er und sie auf dem Boden einen Vertrag schlossen. Nein, mit allen vieren um sich schlagend kam er ins Trudeln und stürzte steil in die Tiefe. Er drehte sich um sich selbst, seine Nüstern blähten sich, und mit weit aufgerissenen Augen fiel er einhundert Fuß tief unterhalb des Belvedere in den See. Weiße Gischt schwappte an seinen Flanken hoch, sodass es sekundenlang so aussah, als hätte er Flügel, doch dieser Ironie wurde sich der Hengst glücklicherweise nicht bewusst. Trotz des schweren Sturzes schwamm er sehr schön und kletterte mit so viel Würde das Ufer hinauf, wie noch nie ein Pferd einem Fluss oder einem See entstiegen war. Er wirkte verwirrt und schreckhaft, aber das mochte wohl daran liegen, dass er tropfnass war, und hinderte ihn nicht daran, sich erneut auf den Weg zu einer der langen, geraden Avenuen zu machen. Dort wollte er so viele Meilen im Galopp zurücklegen, bis er endlich flog.
    *
    Nachdem sie, als die Feuer niedergebrannt waren und sich der Mond zwischen ungeheuerlichen Himalayawolken aus Dampf und Asche hervorgeschoben hatte, in dem eigenartigen Licht zwischen Dunkelheit und Dämmerung die Farbe des Hafens zuerst nicht hatten erkennen können, sahen sie jetzt, dass die Wasseroberfläche so glatt und grün wie ein Smaragd war. Asbury steuerte die Barkasse durch das sich gefügig teilende Wasser und manövrierte sie zwischen umgekippten Eisblöcken hindurch, die im Glanz des Mondlichts weniger an Eisberge erinnerten als vielmehr an jene harmlosen Eisbären auf Gemälden, die, höchstens drei oder vier Zoll hoch, für alle Zeiten in Reglosigkeit verharren.
    Der Totengräber auf der Insel der Toten war, als er die Barkasse gehört hatte, geflohen. Seinen Hut und seine Schaufeln hatte er dagelassen. Hardesty warf den Hut beiseite, nahm eine der Schaufeln und begann zu graben. Asbury durfte ihm nicht helfen, und er selbst wäre am liebsten gestorben und in einer anderen Welt aufgewacht, bevor die Schaufel auf Holz stieß. Während er die weiche Erde aushob, sahen ihm die anderen zu. Es dauerte nicht lange, dann war der kleine Sarg aus der Grube gehoben. »Was jetzt?«, fragte Hardesty. Er hatte Angst und wollte ihn nicht öffnen.
    »Nimm sie heraus!«, sagte Virginia. »Sie liegt noch nicht lange hier, und der Boden ist kalt.«
    Hardesty biss die Zähne zusammen und drückte die Schaufel unter den Sargdeckel. Er stemmte ihn auf, packte ihn und schleuderte ihn mit einer heftigen Geste zur Seite. Abby lag im Sarg – fast noch genauso, wie sie sie beim letzten Mal gesehen hatten. Von weitem hätte man denken können, sie schlafe nur.
    Hardesty beugte
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