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Winterkind

Winterkind

Titel: Winterkind
Autoren: L Mer
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irritiert.
    „Wovon reden Sie? Seine Schwiegermutter ist gestorben, natürlich ist er nicht überschäumend bester Laune. Er muss ihr nahegestanden haben.“
    „Nahegestanden?“, wiederholte Anton, die Augenbrauen fast bis in den Haaransatz hochgezogen. „Na, wenn Sie das meinen. Soweit ich weiß, ist die werte Frau Großmama damals nicht einmal zur Hochzeit erschienen.“
    Sophie öffnete den Mund, aber Johanna war immer noch nicht fertig mit ihren Gedanken. Sie starrte die Blume an und fragte leise:
    „Wird denn – wird denn die Prinzessin meine Blume nicht beschützen?“
    Sophie seufzte.
    „Ach, Fräulein …“ Sie wollte irgendetwas Unverbindliches, Beruhigendes sagen. Ihre Füße waren schrecklich kalt, und die tiefen Fußstapfen des Herrn von Rapp zeigten deutlich, dass auch der Weg hoch zur Straße, zum Haus, nicht geräumt war. Aber es war so viel Traurigkeit in dem blassen Gesichtchen, und die Locken hingen so trostlos herunter …
    „Die Prinzessin“, sagte sie und streckte Johanna die Hand entgegen, „kümmert sich um alles im Park. Und sie passt auf alles auf. Da wird sie doch wohl wissen, wie sie mit einer welken Blume verfahren muss, meinen Sie nicht? Sie wird sie dem Wind schenken, ihrem liebsten Freund, und er wird sie weit über die Lande tragen. So weit, vielleicht sogar bis ans Meer.“
    „Das Meer“, flüsterte Johanna mit großen blanken Augen. Sophie nickte, ohne sich um Antons verächtliches Schnauben zu scheren. Sie nahm Johannas Hand. Der Blick des Mädchens streifte über ihr Gesicht.
    „Fräulein Sophie“, fragte sie, „kümmert sich die Prinzessin auch um mich, wenn ich sterbe?“
    Sophie lachte hell auf.
    „Aber, Fräulein Johanna, was sind das für dumme Gedanken! Sie sterben noch lange nicht, das glauben Sie mir ruhig. Und wenn Sie irgendwann uralt geworden sind und viele Enkelchen haben, dann kommen die Englein des Herrgotts und holen Sie alle ab, auf einem goldenen Strahl, der bis in den Himmel reicht. Das wissen Sie doch. Und bis dahin …“
    Anton fing an, ungeduldig mit den Füßen zu stampfen. Eine plötzliche Verlegenheit erfasste Sophie. Sie bückte sich zu dem Kind hinunter.
    „Bis dahin passe ich auf Sie auf, Sie schrecklicher kleiner Fratz.“
    Hatte sie geflüstert? Johanna sah zu ihr auf, als habe sie eben ein großes Geheimnis mit ihr geteilt. Sophie nahm ihre Hand fester, zog sie zum Weg ohne ein weiteres Wort und ließ nicht zu, dass die schmalen Finger sich ihr wieder entwanden. Freundlich – oder wehmütig? – schien ihnen die Prinzessin aus ihren Steinaugen nachzusehen, während die lautlosen Flocken anfingen, die Blume im Brunnen wieder zuzudecken.

    Blanka von Rapp kam bei ihrem Fenster an in dem Moment, als die Kutsche unten auf der Straße auftauchte. Sie atmete durch, versuchte, sich auf die Erleichterung zu konzentrieren, die Wiedersehensfreude, die Mann und Kind von ihr erwarten durften. Aber sie sah schon, dass die Kutsche mit der vereisten Steigung zu kämpfen hatte. Die beiden Pferde stemmten sich in das Geschirr, warfen die Köpfe hin und her. Der Kutscher stieg vom Bock. Er griff ins Zaumzeug, und Blanka sah seinen Mund auf und zu klappen, als er den Tieren zuredete. Sie wunderte sich, dass Johann nicht ausstieg. Er hatte eine gute Hand mit Pferden.
    Die Kutsche schien schwer beladen zu sein. Sie sah die Buckel der Reisekisten hinten hervorlugen, und oben auf dem Dach – auf dem Dach –
    Ein riesiger, flacher, schwarzer Kasten. Er überragte die große Reisekutsche zu beiden Seiten, breiter als ein Mann. Sein Schatten fiel so düster auf den Schnee, es war, als ob er alles Licht auslöschte.
    Eine Gänsehaut überzog Blankas Körper unter den Kleidern mit Raureif.
    Sie kamen, ja. Endlich kamen sie.
    Und sie ahnten nicht, was sie mitbrachten.
    Mit beiden Händen klammerte Blanka sich an das Fensterbrett.

    „Meine Füße tun weh“, quengelte Johanna. Sie hing an Sophies Arm wie ein Sack Wackersteine. „Und mir ist so kalt. Fräulein Sophie, warum geht der Herr Papa so schnell? Warum wartet er nicht auf uns? Sollen wir nach ihm rufen?“
    „Nein“, Sophie keuchte das Wort mehr, als dass sie es sprach. Der Saum ihres Kleides war mit Feuchtigkeit vollgesogen. Schneeklumpen klebten an den Sohlen ihrer Stiefel, machten jeden Schritt zur Tortur. Ihre Beine waren vollkommen taub. „Nein, und nun benehmen Sie sich nicht wie ein bockiges Kind! Sie wollten doch unbedingt in den Park. Wer nicht hören will, muss fühlen!“
    „Aber meine
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