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Winterkind

Winterkind

Titel: Winterkind
Autoren: L Mer
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ganz klar. Die Konturen der Prinzessin spiegelten sich darauf, fast unverzerrt; und ihre eigene angestrengte Miene neben dem gutmütig geheuchelten Interesse des Vaters, der sich jetzt aufgeräumt gab und sorglos.
    „Tatsächlich!“, Herr von Rapp schlug sogar die Hände zusammen. Es klappte dumpf. Irgendwo hinter kahlen Bäumen, dort, wo die Straße lag, krächzte es fern, wie ein Echo.
    Sophie beugte sich vor; und da war es, das samtige Schimmern einen Fingerbreit unter der Oberfläche, das verblasste Leuchten wie von altem und zu sehr verdünntem Wein. Ein Blütenkopf schwebte bewegungslos im Eis. Nur ganz leicht eingerollt und verfärbt die Ränder der Blätter, wie glasiert vom frühen strengen Frost, der im Herbst so viele der alten Heckenrosen im Park gemordet hatte. Unter dem Schnee moderten sie in den Beeten. Nur eine hatte die unerklärliche Kinderlaune ausgewählt, eine einzige. Hatte sie aufgelesen, in der hohlen Hand behutsam getragen und dann, noch unerklärlichere Kindergrausamkeit, in dem Becken versenkt, den zarten Stängel mit einem Stein beschwert. Und nun schwebte sie dort und leuchtete sanft herauf durch das klare Eis, Tag um Tag, Woche um Woche. Unberührt und unberührbar.
    „Der Gärtner ist immer noch gram, weil er das Wasser nicht ablassen durfte dies Jahr.“ Herr von Rapp zwinkerte seiner Tochter zu. „Pass nur auf, wenn das Becken Risse bekommt, musst du sie alle überstreichen mit deinen Malfarben!“
    Johanna hörte ihm gar nicht zu. Sie sah die schwebende Blüte an, den Mund ein wenig offen, den Kopf schief gelegt. Was bewegte sich hinter der Kinderstirn? Sie runzelte sich jetzt, Plisseefalten in der glatten Haut, und Sophie, die Ermahnung schon auf der Zunge, schluckte sie für diesmal wieder hinunter.
    „Wenn der Frühling kommt“, fragte Johanna, „und das Wasser taut … Was passiert dann mit meiner Blume?“
    „Nun“, sagte Herr von Rapp und lächelte unbehaglich. „Nun, wenn das Wasser taut … dann schwimmt sie herum, für eine Weile. Eine kleine Weile.“
    „Und dann?“
    Sophie hatte die Frage kommen sehen, seit mehr als einer kleinen Weile.
    „Kind“, sagte sie, „wenn der Frühling kommt, haben Sie die alte Blume längst vergessen. Es wird so viele neue geben, die Tulpen zuerst und die Glockenblumen …“
    „Nie“, unterbrach Johanna sie heftig, „nie werde ich sie vergessen!“
    „Ach, Fratz“, Herr von Rapp legte ihr beruhigend den freien Arm um die Schultern. „Natürlich wirst du das. Siehst du, wenn das Wasser taut, dann wird sie nicht mehr so herrlich anzusehen sein. Sie wird langsam braun werden, wie das Laub an den Bäumen vor ein paar Wochen, und nach und nach auf den Brunnenboden sinken. Dann wird der Gärtner sie herausfischen und dann …“
    Johanna drehte sich zu ihm um.
    „Sie meinen, dann stirbt sie?“
    „Nun“, antwortete er. „Nun, nun, es ist dann ja auch längst Zeit dafür, nicht wahr?“
    „So, wie die Frau Großmama?“
    Er zuckte zusammen. Anton hörte auf, die Hände aneinanderzureiben, und stand ganz still.
    Johanna schien es nicht zu bemerken. Sie sah zu ihrem Vater auf und zupfte ihn am Mantel.
    „Herr Papa, war die Frau Großmama eine Hexe? Musste sie deshalb sterben?“
    Herr von Rapp sog scharf den Atem ein. Sophie wusste, was er vor sich sah: düsteres Kappellenlicht, eine reglose Gestalt im offenen Sarg, tief verschleiert in schwarzer Witwentracht …
    „Unsinn“, sagte Herr von Rapp heiser, „was redest du denn, Fratz? Hexen gibt es nur im Märchen. Sie war“, er räusperte sich schwerfällig, „eine sehr schöne Frau, deine Großmama. Wie ihre Tochter, deine Frau Mutter, jedenfalls beinahe. Wenn auch nicht unbedingt - Ach, was ist das für ein törichtes Geschwätz! Was grämst du dich über die alte Blume da. Fräulein Sophie hat ganz recht, du wirst sie bis zum Frühling längst vergessen haben. Kinder vergessen so leicht, das ist ganz natürlich. Assez! “, er hob die Hand, als Johanna widersprechen wollte, „wir haben genug davon geredet, denke ich. Es wird Zeit. Wir sollten gehen.“
    Abrupt drehte er sich auf dem Absatz um, wirbelte den Spazierstock wie eine Peitsche durch den Schnee und ließ die anderen stehen. Ein paar Minuten lang sah Sophie ihm sprachlos hinterher.
    Anton zog die schmalen Augenbrauen hoch.
    „Nicht sehr gut gelaunt, der Gnädige“, sagte er kühl. „Was musste er auch das Kind mitschleppen. Als ob es irgendwas hätte nützen können.“
    Sophie musterte ihn
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