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Winter

Winter

Titel: Winter
Autoren: Rainer Maria Rilke
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man ihr nur erst wieder auf den Weg, – sie kommt schon an's Ziel. Wenn nur der Regen nicht das natürlichste Theil der Erholung verringert oder vereitelt, – es gießt, gießt mit einer Leichtigkeit, die auf viel Übung in diesem Benehmen schließen läßt.
    Taxis II (24. 8. 1923), 770 f.
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    Bruder Körper ist arm …: da heißt es, reich sein für ihn.
Oft war er der Reiche: so sei ihm verziehn
das Armsein seiner argen Momente.
Wenn er dann tut, als ob er uns kaum noch kennte,
darf man ihn leise erinnern an alles Gemeinsame.
    Freilich wir sind nicht Eines, sondern zwei Einsame:
Unser Bewußtsein und Er;
Aber wie vieles, das wir einander weither
verdanken,
wie Freunde es tun! Und man erfährt im Erkranken:
Freunde haben es schwer!
    Werke II , 271
    Es ist unendlich neu für mich, mich ernstlich mit Ärzten einzulassen, neu und beirrend: denn seit zwanzig Jahren hatte ich mich mit meiner übereingestimmten Natur ohne fremden Beistand vertragen –, und dieser plötzlich zwischen uns vorhandene Interpret, der das Meiste falsch übersetzt, ist ein Fremdkörper in dem alten Zusammenhang.
Ich habe diesen Winter so recht Gelegenheit zu merken, wie gut ich es lange gehabt habe, sowohl durch diesen einfachen guten Instinkt meiner Natur, der ihr – in so vielen Ländern und Lagen – half, den Weg ihrer jeweiligen Widerherstellung aus sich selber zu errathen, – als auch durch ihr ständiges Zu-mir-halten, das es mit sich brachte, daß ich ihr unbedingt vertrauen durfte. Die meisten Menschen leben ja in einer Art Feindsäligkeit mit ihrem Körper, sei es daß sie ihn überlisten oder ausbeuten; der meine, gleichgestellt mit den übrigen Wesenheiten, die meine Person ausmachen, hatte, sozusagen, die Prokura für die ganze Firma und durfte, ebenso wie die Seele oder der Geist, für sie »zeichnen«. Und ich darf versichern, daß Leistung bei mir jedesmal dort entstand, wo diese verständigten Elemente zu einer gesteigerten Einheit zusammenwirkten. Keine Haltung wäre mir fremdartiger, als die, gegen einen kränkelnden oder nachlassenden Körper einfach ein geistiges Überlegensein geltend zu machen. Ich weiß, wieviel große und größte Beispiele für eine derartige Einstellung aufzubringen sind –, und welche enormen Siege sie zu verzeichnen hat, – aber meine Sache war es vielmehr, ab und zu auf dem völlig konträren Wege sieghaft zu sein und ich dachte, offengestanden, nie an die Nothwendigkeit einer Umstellung. Diese beschäftigt mich nun seit Monaten, nicht in irgendeiner hypochondrischen Art, sondern einfach als etwas, was, rechtzeitig in's Auge zu fassen, wohlgethan sein möchte. Ich sage das alles nur Ihnen, liebe Fürstin, im Vertrauen: es thut gut, sich auszusprechen. Vielleicht auch handelt es sich um eine vorübergehende Erschütterung; in diesem Falle soll sie mir eine Lehre gewesen sein, und wenn ich noch einmal jene unendlich tiefe Frohheit erfahren darf, die nur dort entsteht, wo Körper, Seele und Geist die Welt gemeinsam auffassen und in einem Athem
bejahen –, so soll aus ihr, gleichviel ob sichtbar oder unsichtbar, ein Bleibenderes hervorgehen!
    Taxis II (23. 2. 1923), 785-787
    Reue, um Reue, seit gestern, liebe Fürstin, daß ich nicht im Juny hierhergekommen bin: was hätten wir für gute Stunden gehabt und wie wären solche Stunden mir lieb und hülfreich gewesen. Und die Bäder dazu! Damals ging es mir noch verhältnismäßig besser und behaglicher als jetzt, und der Einfluß der ragazer Quellen hätte wahrscheinlich besorgt, daß ich nicht ins Ärgere gerathen wäre und einen Vorrath Widerstands in den Winter hätte mitnehmen dürfen, in diesen unversehns schon so nahen Winter, vor dem mir graut. Sinds nur meine persönlichen körperlichen Beschwerden und Beklemmnisse, die mich so mißtrauisch machen, oder ists wirklich ein ungutes Jahr, dieses 1925? Manchmal mein ich, nicht nur diese Seite, die es mir zukehrt, wäre so drohend und verhängnisvoll, ganz als wärs wirklich das Datum eines uns noch unbekannten aber schon gefällten Urtheils, durch das die Erde, ich weiß nicht wozu, verdammt worden ist. Alle diese Züge, die mit soviel Überzeugung, daß es genug sei, aus den Geleisen jagen, immer wieder, immer weiter … Ich trage das Gewicht einer
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