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Winter

Winter

Titel: Winter
Autoren: John Marsden
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Augen. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet, nicht ernsthaft wenigstens, und mir war schleierhaft, wie ich nun reagieren sollte. Meine Augen brannten.
Aus irgendeinem Grund gelang es mir aber auch nicht, kehrtzumachen und die lange einsame Einfahrt zurückzugehen. Ich spürte die Wut in mir hochsteigen – ich war so weit gekommen und jetzt sollte alles umsonst gewesen sein?
In meiner Verstörung ging mir alles Mögliche durch den Kopf: Sie muss mich aber sehen, so viele Verwandte kann sie doch gar nicht haben, sie sollte zu den wenigen, die ihr bleiben, doch besonders nett sein. Und dann: Ich habe ja sonst niemanden. Ich brauche die wenigen Verwandten, die mir geblieben sind. Ich kann nicht noch mehr von ihnen verlieren.
Mit dem Trotz eines dreijährigen Kindes teilte ich Mrs Stone mit: »Ich gehe nicht wieder fort. Ich bleibe hier, bis sie mit mir spricht.«
Mrs Stone machte ihrem Namen Ehre. Ohne mit der Wimper zu zucken, erwiderte sie: »Tut mir Leid, aber das wäre zwecklos. Wenn sie sich für etwas entschieden hat, bleibt sie dabei. Immer.«
Damit wurde meine zunächst noch unüberlegte Drohung zur Entschlossenheit. Ich setzte mich auf die Schwelle, und zwar so, dass sie die Tür nicht mehr schließen konnte, und sagte: »Gut, dann bleibe ich eben hier.«
Jetzt wurde sie unruhig. Ihre eben noch unbeugsame und coole Fassade bröckelte ab und sie wurde sichtlich nervös und unsicher.
»Winter, bitte, sei doch vernünftig. Mrs Harrison wird dich heute nicht empfangen. Vielleicht ein andermal. Warum schreibst du ihr nicht einen Brief? Ich sorge dafür, dass sie ihn erhält.«
Ich verschränkte die Arme, presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und zischte ihr wie durch den Schlitz eines Spielautomaten zu: »Das ist ein Sit-in. Wenn es sein muss, bleibe ich eine ganze Woche.«
»Gott im Himmel«, sagte sie. »Du bist genauso stur wie sie.«
In ihrer Stimme klang aber noch etwas anderes mit – war es Aufregung, vielleicht sogar Freude? Bedenkt man, dass in diesem Haus lange nichts mehr passiert war, musste ein Sit-in einigermaßen spektakulär sein.
Sie eilte fort und dann hörte ich nur noch das Klicken ihrer Absätze auf dem Parkettboden.
Ich blieb sitzen und blickte mich um. Die Eingangstür führte in einen Raum, der groß genug war, um zwei Sattelschlepper darin zu parken, obwohl nicht anzunehmen war, dass Großtante Rita für Laster viel übrig hatte. Es war ein schöner Raum. Eigentlich nur ein Vorraum, aber in die linke Wand war ein riesiger Kamin aus Marmor eingelassen, der offenbar nie benutzt worden war, und an der rechten Wand stand die Statue einer nackten Göttin mit einem Panter oder so was Ähnlichem an ihrer Seite. An der Decke befand sich eins dieser Dinger, die aus Gips sind und aussehen wie eine große runde Blume. Sie war braun, gelb und grün angemalt. Allein um so etwas zu malen, brauchte man wahrscheinlich drei Wochen. Großtante Rita musste eine Menge Geld haben. Vielleicht machte sie sich ja Sorgen, ich hätte es auf ihr Vermögen abgesehen. Dabei war mir das völlig egal. Ich hatte selbst genug – trotz der Unsummen, die Mr Carruthers jedes Jahr an Verwaltungskosten abzog.
Am Ende der Eingangshalle befand sich eine Treppe, die ebenfalls wie aus Marmor aussah. War schwer zu sagen, weil es da hinten so düster war, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass in diesem Haus irgendetwas künstlich war. Wenn es wie Marmor aussah, war es das wahrscheinlich auch. Die beiden geschwungenen Handgeländer verliehen der Treppe eine Anmut, die beinahe weiblich war.
Auf dieser Treppe war Mrs Stone nach oben gegangen. Großtante Rita musste also irgendwo im Obergeschoss sein. Kurz überlegte ich, ob ich einfach hinauflaufen und sie suchen sollte, hielt das aber für keine gute Idee. Ich hatte das Gefühl, Großtante Rita legte großen Wert auf gute Manieren, und da ich auch so schon ziemlich über das zulässige Maß hinausgeschossen war, ließ ich es lieber bleiben.
Ich starrte zur Treppe und wartete darauf, dass Mrs Stone zurückkehrte.
Tat sie aber nicht.
Sehr bequem war es nicht auf dem Boden, aber ich war entschlossen, mich nicht von der Stelle zu rühren. Sobald mein Hintern taub wurde, veränderte ich ein wenig meine Position.
An der linken Wand über dem Kamin hing das Gemälde von einer Frau, die eindeutig meine Mutter war. Sie trug alte Farmklamotten, hielt einen Hund, der aussah wie ein Border Terrier, und sah mich mit einem direkten und unverhüllten Blick an. Ich fragte
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