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Wind (German Edition)

Wind (German Edition)

Titel: Wind (German Edition)
Autoren: Stephen King
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die Stadt zu uns. Freundliche Vögelchen zwitschern uns Neuigkeiten ins Ohr, wenn Ihr versteht, was ich meine.«
    »Das verstehe ich sehr wohl«, sagte ich.
    »Bringt ihn uns morgen, wenn euch der Kopf wieder aufs Normalmaß abgeschwollen ist«, sagte sie. »Wir sind zwar eine Gemeinschaft von Frauen, aber wir nehmen gern auch einen Waisenknaben auf – zumindest bis er so alt ist, sich rasieren zu müssen. Danach wird es für einen Jungen schwierig, mit Frauen zusammenzuleben, und er sollte lieber fort. Aber bis dahin können wir ihn im Rechnen und Schreiben unterweisen – das heißt, wenn er trig genug ist, beides zu lernen. Würdet Ihr sagen, dass er trig ist, Roland, Sohn von Gabrielle?«
    Es war ungewohnt, als Sohn meiner Mutter angesprochen zu werden, aber eigenartig angenehm. »Er ist sehr trig, würde ich sagen.«
    »Das ist gut. Und wir werden bestimmt Arbeit für ihn finden, wenn es Zeit wird, dass er uns verlässt.«
    »Arbeit und ein Stück Land«, sagte ich.
    Everlynne lachte. »Aye, genau wie in der Geschichte vom unerschrockenen Tim. Aber nun wollen wir das Brot miteinander brechen, ja? Und mit Frühlingswein auf den Heldenmut junger Männer anstoßen.«
    Wir aßen, wir tranken, und wir waren recht fröhlich miteinander. Als die Schwestern begannen, das Geschirr abzutragen, nahm Priorin Everlynne mich in ihre Privatgemächer mit. Sie bestanden aus einer winzigen Schlafkammer und einem weit größeren Arbeitszimmer, in dem eine Katze in einem Sonnenstrahl schlief, der über einen riesigen Eichenschreibtisch fiel, auf dem sich Papierstapel türmten.
    »Nur wenige Männer sind jemals hier gewesen, Roland«, sagte sie. »Einen davon kennt Ihr vielleicht. Er hatte ein langes, bleiches Gesicht und trug einen langen, schwarzen Mantel. Wisst Ihr, von wem ich spreche?«
    »Marten Broadcloak«, sagte ich. Aufsteigender Hass ließ das gute Essen in meinem Magen plötzlich sauer werden. Und irgendwie Eifersucht – auch eingedenk meines Vaters, dem Gabrielle von Arten ja Hörner aufgesetzt hatte. »Hat er sie etwa besucht?«
    »Er hat verlangt, sie zu sehen, aber ich habe mich geweigert und ihn fortgeschickt. Erst wollte er nicht gehen, aber ich habe ihm mein Messer gezeigt und ihm erklärt, es gebe in Serenitas weitere Waffen, aye, und Frauen, die damit umgehen könnten. Eine davon sei eine Schusswaffe, habe ich gesagt. Ich habe ihn daran erinnert, dass er tief im Inneren der Haci sei, und ihm geraten, sich auf Schusters Rappen davonzumachen, es sei denn, er könne fliegen. Er hat sich tatsächlich davongemacht, aber zuvor hat er mich noch verflucht, und er hat diesen Ort verflucht.« Sie zögerte, streichelte kurz die Katze und sah dann wieder zu mir auf. »Eine Zeit lang habe ich geglaubt, der Fellmann sei vielleicht sein Werk.«
    »Das glaube ich nicht«, sagte ich.
    »Ich auch nicht, jetzt nicht mehr, aber das werden wir nie mit Bestimmtheit wissen, nicht wahr?« Die Katze wollte auf den geräumigen Spielplatz von Everlynnes Schoß klettern, aber diese scheuchte sie weg. »Aber eines weiß ich: Er hat mit ihr gesprochen, auch wenn nie jemand wissen wird, ob es nachts am Fenster ihrer Zelle oder nur in ihren schweren Träumen war. Dieses Geheimnis hat die arme Frau mit sich auf die Lichtung genommen.«
    Ich antwortete nichts darauf. Wenn man verwirrt oder verzweifelt ist, dann ist es meistens am besten, nichts zu sagen.
    »Kurz nachdem wir diesen Broadcloak fortgeschickt hatten, hat Eure ehrenwerte Mutter ihre Einkehr bei uns beendet. Sie hat erklärt, sie habe eine Pflicht zu erfüllen und viel wiedergutzumachen. Sie hat gesagt, ihr Sohn werde hierherkommen. Als ich gefragt habe, woher sie das wisse, hat sie geantwortet: ›Weil Ka ein Rad ist und sich immer dreht.‹ Dies hier hat sie für Euch zurückgelassen.«
    Everlynne zog eine der vielen Schubladen ihres Schreibtischs auf, kramte darin herum und nahm schließlich einen Umschlag heraus. Er trug meinen Namen in einer Handschrift, die ich sehr gut kannte. Nur mein Vater hätte sie besser gekannt. Geschrieben hatte ihn eine Hand, die einst die Seiten eines schönen, alten Buchs umgeblättert hatte, aus dem mir »Der Wind durchs Schlüsselloch« vorgelesen wurde. Aye, und viele andere Bücher. Ich hatte all die Geschichten auf den von ihr umgeblätterten Seiten geliebt, aber nichts so sehr wie die Hand selbst. Und noch mehr hatte ich die Stimme geliebt, mit der meine Mutter mir vorgelesen hatte, während draußen der Wind heulte. Das war in der
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