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Wind (German Edition)

Wind (German Edition)

Titel: Wind (German Edition)
Autoren: Stephen King
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trommelten Jamie und ich einen Trupp Männer zusammen – an Freiwilligen bestand kein Mangel –, die mit uns zur Bahnstrecke hinausfuhren. Sobald wir dort waren, dauerte es nur zwei Stunden, Klein-Puffpuff wieder aufs Gleis zu heben. Travis, der Lokführer, leitete die Arbeiten mit großer Begeisterung, und ich gewann viele Freunde, nachdem ich den Männern mitgeteilt hatte, alle Helfer seien mittags zum Essen in Racey’s Café und nachmittags zu Drinks im Busted Luck eingeladen.
    Abends sollte in Debaria eine große Feier stattfinden, zu der Jamie und ich als Ehrengäste eingeladen waren. Dergleichen gehörte zu den Dingen, auf die ich leicht hätte verzichten können – ich hatte es eilig, nach Hause zu kommen, und war im Allgemeinen sowieso nicht sehr gesellig –, aber solche Veranstaltungen gehörten oft zu unserer Arbeit. Immerhin hatte die Sache einen Vorteil: Zu der Feier würden Frauen kommen, von denen manche sicher hübsch waren. Dagegen hatte ich nichts einzuwenden – und Jamie vermutlich auch nicht. Er musste noch viel über Frauen lernen, und mit seinen diesbezüglichen Studien konnte er ebenso gut in Debaria wie anderswo beginnen.
    Wir beide beobachteten, wie Klein-Puffpuff langsam zur Wendeschleife schnaufte und dann, in die richtige Richtung zeigend, zu uns zurückkam: in Richtung Gilead.
    »Machen wir unterwegs in Serenitas halt?«, fragte Jamie. »Um dort zu fragen, ob sie den Jungen aufnehmen wollen?«
    »Aye. Außerdem hat die Priorin etwas für mich, hat sie gesagt.«
    »Weißt du, was das sein könnte?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    Everlynne, dieser Berg von einer Frau, kam mit ausgebreiteten Armen über den Hof von Serenitas auf uns zugestürmt. Ich war fast versucht, zur Seite zu springen; mir kam es so vor, als käme einer dieser riesigen Lastwagen, die früher auf den Ölfeldern von Kuna im Einsatz gewesen waren, auf mich zugerollt.
    Aber statt uns niederzuwalzen, schloss sie uns beide nur in die Arme und drückte uns an ihren gewaltigen Busen. Sie trug einen lieblichen Duft: eine Mischung aus Zimt und Thymian und frischem Gebäck. Sie küsste Jamie auf die Wange, worauf er errötete. Mich küsste sie voll auf den Mund. Einen Augenblick lang waren wir im Schatten der seidenen Flügelhaube in ihren wallenden, wogenden Gewändern gefangen. Dann trat sie vor Freude strahlend zurück.
    »Was für einen Dienst ihr dieser Stadt erwiesen habt! Und wie wir euch unseren Dank sagen!«
    Ich lächelte. »Sai Everlynne, Ihr seid zu freundlich.«
    »Nicht freundlich genug! Ihr nehmt das Mittagsmahl mit uns ein, ja? Und Frühlingswein, wenn auch lieber nur wenig. Ihr werdet heute Abend bestimmt noch mehr trinken müssen.« Sie warf Jamie einen schelmischen Blick zu. »Aber seht euch vor, wenn Trinksprüche ausgebracht werden; zu viel Alkohol kann einen Mann später weniger Mann sein lassen und Erinnerungen trüben, die er sich vielleicht gern bewahren würde.« Sie hielt inne und setzte ein wissendes Lächeln auf, das nicht zu der Ordenstracht passen wollte. »Oder … vielleicht auch nicht.«
    Jamie errötete jetzt noch mehr, aber er sagte nichts.
    »Wir haben euch kommen sehen«, sagte Everlynne. »Es gibt da nämlich noch jemand, der sich bei euch bedanken möchte.«
    Als sie zur Seite trat, stand hinter ihr die zierliche Schwester Fortuna. Sie trug immer noch einen dicken Verband, aber sie wirkte heute weniger geisterhaft, und ihre sichtbare Gesichtshälfte leuchtete vor Glück und Erleichterung. Sie trat schüchtern vor.
    »Ich kann wieder schlafen. Und im Lauf der Zeit werde ich vielleicht sogar wieder ohne Albträume schlafen können.«
    Sie ergriff den Rock ihres grauen Ordensgewands und sank vor uns auf die Knie, was mir ziemlich unangenehm war.
    »Schwester Fortuna, einst Annie Clay, sagt euch ihren Dank. Das tun wir alle, aber meiner kommt aus tiefstem Herzen.«
    Ich fasste sie sanft an den Schultern. »Erhebt Euch, Lehensfrau. Kniet nicht vor unseresgleichen.«
    Sie sah mich mit glänzenden Augen an, dann küsste sie mich mit der Seite ihres Mundes, mit der sie noch küssen konnte, auf die Wange. Im nächsten Moment flüchtete sie quer über den Hof dorthin, wo ich die Küche vermutete. Aus diesem Teil der Haci drangen jedenfalls köstliche Düfte zu uns herüber.
    Everlynne sah ihr sanft lächelnd nach, dann wandte sie sich wieder mir zu.
    »Es gibt da einen Jungen …«, begann ich.
    Sie nickte. »Bill Streeter. Ich habe von ihm gehört. Wir gehen nicht in die Stadt, aber manchmal kommt
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