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Wind der Traumzeit (German Edition)

Wind der Traumzeit (German Edition)

Titel: Wind der Traumzeit (German Edition)
Autoren: Christin Busch
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Schönheit, aber vielleicht muss man hier geboren sein, um die Risiken und Gefahren, die dieser Kontinent birgt, ertragen zu können.« Sie atmete tief durch. »Womöglich bin ichzu bodenständig – zu typisch deutsch, zu sehr auf Sicherheit bedacht –, um einfach von vorne anzufangen.«
    Ihre Stimme zitterte, als sie herumfuhr und gegen den Reifen trat. Alles, was sich in ihr angestaut hatte, brach auf einmal aus ihr heraus.
    »Ich weiß nicht, ob ich mich jemals damit abfinden kann, dass solche Buschfeuer hier nun mal dazugehören, dass man Kinder durch Schlangenbisse verlieren kann, dass selbst Erwachsene innerhalb kurzer Zeit durch eine Spinne, eine unscheinbare Qualle oder einen Fisch, der zufälligerweise wie ein Stein aussieht, sterben können, dass man in der Hitze des Outback nach einer stinknormalen Autopanne verdurstet, wenn man vergessen hat, an Wasser zu denken. Ich weiß einfach nicht mehr, was richtig und was falsch ist.« Tränen strömten über ihr Gesicht. »Wenn ich das hier sehe, will ich nur noch fort von hier, dabei habe ich keine Ahnung, wohin ich überhaupt gehen kann. Vielleicht gehöre ich einfach nicht in dieses Land, und doch würde ich mich auch nicht mehr in meiner Heimat zurechtfinden. Ich habe zwei deutsche und zwei australische Kinder und nicht den Funken einer Ahnung, wie ich ihnen jetzt gerecht werden soll.« Sie weinte immer noch und versuchte trotzig dagegen anzukämpfen.
    Als Tom sie an sich ziehen wollte, wehrte sie ihn ab und vergrub ihr Gesicht in der Armbeuge, die sie auf das Autodach gelegt hatte. Zutiefst erschüttert über den Grad ihrer Verzweiflung strich er ihr unbeholfen immer wieder über den Rücken. Er wusste nicht, was er tun sollte, um sie zu beruhigen. Alles, was ihm durch den Kopf ging, kam ihm irgendwie abgedroschen und lahm vor, also sagte er lieber nichts. Angst stieg in ihm auf, als ihm bewusst wurde, dass dieser Buschbrand womöglich nur der Tropfen gewesen war, der das Fass für Nora zum Überlaufengebracht hatte. Er wollte sie nicht verlieren. Plötzlich kamen ihm Marrindis Worte in den Sinn. »Du wirst um sie kämpfen müssen, Tom.« Konnte es wirklich sein, dass er all das hier vorausgesehen hatte? Tom räusperte sich gegen ein beklommenes Gefühl in seinem Hals und versuchte mit einem unbewussten Kopfschütteln den Gedanken an Marrindi zu vertreiben. Verdammt, es fehlte gerade noch, dass er sich ausgerechnet jetzt mit den Weissagungen des alten Zauberdoktors auseinander setzte. Als gäbe es nichts Wichtigeres. Er strich Nora über den Kopf. »Komm, mein Herz, wir fahren zu den Kindern zurück, ja?« Noras Schultern zuckten, während sie beinahe lautlos weiterweinte. Sie wollte ja damit aufhören, aber es ging einfach nicht. Sie verstand sich selbst nicht, denn sie wusste nicht mehr ein noch aus, und sie schämte sich dafür. Sie vergrub ihr Gesicht noch tiefer in der Armbeuge und versuchte ihr haltloses Schluchzen in den Griff zu bekommen.
    Tom biss die Zähne zusammen, wandte sich ab und ging um den Wagen herum. Er öffnete die Heckklappe und kramte suchend in seinem Arztkoffer. Sekunden später hielt er beinahe angewidert inne. War das das Einzige, was er wirklich konnte? Tropfen und Tabletten verteilen oder Spritzen verabreichen? Würde es Nora helfen, wenn sie jetzt in einen dumpfen Medikamentennebel abtauchen konnte, der sie von diesen Bildern hier befreite? Der die Gedanken und die Sorge verhinderte, wo sie in den nächsten Monaten leben würden – er, sie und die drei Kinder? Ratlos setzte er sich auf die Ladekante und rieb sich die Schläfen. Er hatte ja selbst keine Ahnung, wie es weitergehen sollte.

50
    N ora saß an diesem Abend in einem Sessel bei Lisa und Bill im Wohnzimmer und hatte eine Zeitschrift in der Hand. Obgleich sie überhaupt nicht in der Lage war, sich für irgendetwas, was darin stand, zu interessieren, wollte sie sich vor den anderen und vor allem vor den Kindern den Anschein von Normalität geben.
    Sie hatte aber solche Mühe, sich zusammenzunehmen, dass sie ihre Hand zur Faust ballte und die Nägel im Handballen spürte. Seit sie diese Naturgewalt mit eigenen Augen gesehen hatte, war alles anders. In ihr machte sich Angst breit. Sie war einfach außerstande, den australischen Gleichmut, die stoische Ruhe nachzuempfinden, nach einem solchen Inferno eben wieder von vorne anzufangen. Über viele Generationen, die Hitze, Feuer, Dürre, Überschwemmungen oder Wirbelstürme kennen gelernt hatten, schien sich diese Eigenschaft
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