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Wildhexe - Die Feuerprobe

Titel: Wildhexe - Die Feuerprobe
Autoren: Carl Hanser Verlag
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herausfinden konnten, wohin er gehörte. Also wohnt er jetzt hier. Wie geht es dir?«
    »Gut«, sagte ich, ein bisschen überrascht, dass es wirklich so war. Ich fühlte mich durch und durch wohl, und mir war weder schwindlig, noch tat mir was weh, auch die Kopfschmerzen waren verschwunden. »Wo ist Mama?«
    »Sie ist rausgegangen, um eine Stelle zu suchen, wo ihr Handy funktioniert. Du bist ein bisschen früher aufgewacht, als wir erwartet hatten. Musst du mal?«
    Ich nickte. Plötzlich war es mir total peinlich, mit einer fremden Frau alleine in einem fremden Haus zu sein. Sie war zwar meine Tante, aber trotzdem. Ich hatte ausgerechnet meinen alten Diddl-Schlafanzug an, für den ich eigentlich viel zu alt und außerdem zu groß war, meine Haare waren struppig, und ich hatte vier tiefe Kratzer auf der Stirn. Was sollte sie von mir denken?
    Allerdings sah sie gar nicht so aus, als würde sie daran irgendetwas komisch finden. Aber sie lief ja schließlich auch mit einer Eule auf der Schulter rum … das heißt …
    »Wo ist die Eule?«
    »Tu-Tu? Er sitzt im Stall und schläft. Er ist in erster Linie nachts gesellig. Ich zeige dir, wo das Badezimmer ist.«
    Nach Holzofen, Öllampen und Nicht-Fernseher stellte ich mich vorsichtshalber schon mal auf ein Plumpsklo oder ein Loch im Boden ein, so wie damals, als meine Mutter und ich in den Winterferien in der Türkei gewesen waren. Aber Isa hatte glücklicherweise ein ganz normales Klo. Oder fast normal, denn um zu spülen, musste man an einer Kette mit Griff ziehen, statt eine Taste zu drücken (und mir ging plötzlich auf, weshalb man von abziehen und spülen spricht). Das warme Wasser kam aus einem Monster von Gasboiler, der fauchend an der Wand zwischen Waschbecken und Badewanne hing.
    Ich betrachtete mich selbst im Spiegel.
    An einem guten Tag konnte ich mir meistens einreden, meine Haare wären glatt, seidig, dunkelblond und eigentlich ganz okay. Meine Augen waren so braun wie Mamas – und wie Tante Isas, dachte ich plötzlich – und auf Nase und Wangen hatte ich Sommersprossen, im Sommer mehr als im Winter, aber ein paar waren immer da. An einem guten Tag konnte ich mich sogar beinahe selbst davon überzeugen, dass ich auf meine ganz eigene Weise schön aussah, wenn auch nicht unbedingt modelmäßig schön.
    Heute war kein guter Tag.
    Meine Haare waren schlaff, strähnig und ungewöhnlich leberwurstfarben, und mein Gesicht war so blass, dass meine Sommersprossen aussahen wie Fliegenschisse, und auch wenn meine Stirn nicht mehr geschwollen war, hatte ich trotzdem noch vier tiefe rote Kratzer, mit denen ich irgendwie grimmig wirkte.
    »Ich hoffe wirklich, die verschwinden wieder«, murmelte ich vor mich hin und betastete sie vorsichtig.
    »Twiiiiiit«, machte jemand. Ich drehte mich ruckartig um. Auf der Fensterbank, in einer kleinen Pappschachtel mit dem Aufdruck Wendelbos Lavendel-Seife , lag eine Blaumeise und schaute mich aus glänzenden schwarzen Knopfaugen an. Sie legte den Kopf schief und twiiiiiitete noch einmal. Dann sperrte sie erwartungsvoll den Schnabel auf und schaukelte von einer Seite zur anderen, als rechnete sie fest damit, dass ich sie füttern würde.
    »Ich bin nicht deine Mama«, sagte ich.
    »Twiiiiiiiiiit!«
    »Hör auf damit. Ich weiß doch nicht mal, was jemandem wie dir schmeckt.«
    »Twiiiiittt!!!!« Das klang jetzt eindeutig nach einem Kommando.
    »Lass dich nicht von ihr schikanieren«, sagte Tante Isa, die noch in der Tür stand. »Letzten Sommer habe ich ihr geholfen, als sie einen gebrochenen Flügel hatte, aber der ist längst verheilt, und sie ist ausgezeichnet in der Lage, für sich selbst zu sorgen. Ihr gefällt nur das Hotel hier zu gut.« Sie machte das Badezimmerfenster auf und tippte die Seifenschachtel mit dem Finger an.
    »So. Hoch mit deinem Luxuskörper«, sagte Tante Isa bestimmt. »Im Apfelbaum hängen Meisenknödel!«
    »Twiiit«, piepste die Meise beleidigt und flatterte durch das offene Fenster nach draußen.
     
    Mama duftete nach Nadelwald und Morgentau, als sie zurückkam. Aber sie sah nicht glücklich aus, und sie hatte es mächtig eilig damit, alles wieder ins Auto zu packen, damit wir direkt nach dem Frühstück aufbrechen konnten.
    »Ich bin so froh, dass es dir besser geht, mein Schatz«, sagte sie. Und es gab keinen Zweifel daran, dass sie froh und erleichtert war , aber irgendetwas stimmte trotzdem nicht, das spürte ich.
    »Was ist los?«, fragte ich.
    »Nichts, Mäuschen. Hast du dir die Zähne
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