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Wild und frei

Wild und frei

Titel: Wild und frei
Autoren: Elizabeth Lane
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Töpfe, Regale, Schränke und lange Tische. In der Speisekammer fand Rowena einen Brotlaib und klemmte ihn sich zusammen mit dem Quilt unter den Arm. Sosehr sie ihren Vater auch liebte, konnte sie dennoch seinen Plan nicht stillschweigend dulden, den Wilden durch Hunger gefügig zu machen. Nicht, nachdem sie einen flüchtigen Blick in diese stolzen schwarzen Augen erhascht hatte.
    Als sie auf der unebenen Steintreppe nach unten ging, huschte eine Maus über ihre bloßen Füße. Rowena stöhnte unwillkürlich. Hätte sie doch nur daran gedacht, ihre Hausschuhe zu tragen …
    Aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Wenn sie in ihr Zimmer zurückginge, um ihre Schuhe zu holen, würde sie sicher der Mut verlassen. Sie würde sich einschließen, die Vorhänge an ihrem Bett zuziehen und sich den Rest der Nacht unter der Bettdecke verstecken, zitternd wie der Feigling, der sie in Wirklichkeit war.
    Solange sie sich erinnern konnte, hatte Rowena eine unaussprechliche Angst vor dem Keller gehabt. Vielleicht hatte irgendetwas an diesem Ort ihr einen Schrecken eingejagt, als sie zu jung gewesen war, um sich daran zu erinnern, oder eines der Dienstmädchen hatte ihr Schauermärchen erzählt, um sie davon abzuhalten, die dunkle Treppe hinunterzuklettern. Was auch immer der Grund sein mochte, sie bekam eine Gänsehaut, als sie den langen Korridor hinunterging. Sie hielt die Hand schützend vor die Kerzenflamme, denn sie hatte Angst, dass ein plötzlicher Luftzug sie auslöschen könnte.
    Ihre Angst kreiste vor allen Dingen um den verriegelten Kerker. Zeit ihres Lebens war er nur als Lagerraum genutzt worden. Aber es war wohlbekannt, dass er jenem Thornhill, der den Landsitz vor langer Zeit errichtet hatte, für ganz andere Zwecke gedient hatte. Menschen waren in diesem Raum gestorben.
    Rowena dachte daran, dass frühere Generationen der Thornhills einen Hang zur Grausamkeit gehabt hatten. Aber Sir Christopher nicht. Zumindest nicht bis jetzt. Oder zeigte sich dieser dunkle Charakterzug nun schließlich doch bei ihrem eigenen sanften Vater?
    Die feuchte Kellerluft schlug ihr fast wie ein Pesthauch entgegen, mit ihrem Geruch nach Schimmel und Verwesung. Sie dachte an den Wilden, der dort allein zusammengekauert in der Dunkelheit saß. Ängstigte er sich? War er zornig? Würde er verstehen, dass sie in freundlicher Absicht kam?
    Rowena versuchte sich vorzustellen, wie man ihn gefangen genommen, angekettet und aus seiner Heimat verschleppt hatte. Ein solcher Mann hatte sicher wie der Teufel gekämpft. Warum hatte die Schiffsmannschaft nicht jemanden gefangen, der sanftmütiger war? Eine Frau oder sogar ein Kind?
    Die Antwort lag auf der Hand. Die Freibeuter wollten, dass ihr Gefangener England lebend erreichte. Sie hatten einen starken Mann – einen Krieger – gewählt, weil er die besten Aussichten hatte, die fürchterliche Reise zu überstehen.
    Dunkelheit umfing sie, als sie am Fuß der Treppe angekommen war. Die Kerze war kaum mehr als ein verlöschender Lichtpunkt. Schritt für Schritt bewegte sie sich vorwärts und achtete auf die winzige Flamme. In ihrem trüben Schein konnte sie ein Durcheinander von aufgestapelten Kisten und Fässern erkennen und dahinter die Umrisse der Gitterstäbe.
    Rowena blieb stehen, hielt den Atem an und horchte. Sie konnte das schwache Tropfen des Wassers der unterirdischen Quelle hören und ein leise raschelndes Geräusch, das von einer Ratte stammen mochte. Aber selbst in der Stille war kein Laut aus dem vergitterten Verlies zu vernehmen.
    Sie schlich sich langsam näher heran, die Kerze vor sich haltend. Dann konnte sie die Gitterstäbe deutlich sehen. Der Blick auf den Raum dahinter war frei bis zur gegenüberliegenden Wand.
    Es war niemand darin.
    Sie vergaß alle Vorsicht und eilte vorwärts. War der Wilde entkommen? War er auf dem Weg zu seinem dunklen Gefängnis gestorben? Oder hatte ihr Vater ganz einfach beschlossen, ihn anderswo unterzubringen?
    Rowena stand vor den Stäben, lehnte sich dicht dagegen und hob die Kerze höher, um etwas in den hinteren Ecken des kleinen Raumes erkennen zu können. Erst da fiel ihr das im Schatten aufgeschichtete Stroh auf – ein länglicher, unebener Haufen von der Größe und Form eines menschlichen Körpers.
    Voller Erleichterung hielt sie die Kerze tiefer. Frierend und erschöpft hatte der Wilde das einzig Vernünftige getan. Er hatte sich in dem Stroh wie ein wildes Tier vergraben und war eingeschlafen.
    Rowena atmete tief durch. Das würde ihr
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