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Wiedersehen mit Mrs. Oliver

Wiedersehen mit Mrs. Oliver

Titel: Wiedersehen mit Mrs. Oliver
Autoren: Agatha Christie
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hier auf Sie warten«, sagte Poirot liebenswürdig. Als sie gegangen waren, wurde es still im Raum. Alec Legge sah aus dem Fenster und seufzte.
    »Und wozu das alles? Wegen eines dummen Gartenfestes, das niemanden interessiert.«
    »Aber gewisse Leute scheint es doch zu interessieren«, bemerkte Poirot.
    »Warum können die Menschen keine Vernunft annehmen? Warum können sie nicht denken? Die Welt ist in einem furchtbaren Zustand. Sieht denn keiner, dass die Bewohner dieser Erdkugel Selbstmord begehen?«
    Poirot nahm mit Recht an, dass auf diese Frage keine Antwort erwartet wurde. Er schüttelte nur nachdenklich den Kopf.
    »Wenn wir nicht etwas unternehmen, bevor es zu spät ist …« Alec Legge unterbrach sich. Sein Gesicht nahm einen ärgerlichen Ausdruck an. Er sagte: »Ja, ja, ich weiß, was sie denken, dass ich nervös bin, neurotisch – ich weiß Bescheid. Diese verdammten Ärzte haben mir Ruhe verordnet, Luftveränderung – Seeluft. Daraufhin sind Sally und ich hierhergefahren, haben das ›Mill Cottage‹ für drei Monate gemietet und das Rezept befolgt. Ich habe geangelt, gebadet, lange Spaziergänge gemacht, in der Sonne gelegen …«
    »Dass Sie in der Sonne gelegen haben, ist mir bereits aufgefallen«, stellte Poirot höflich fest.
    »Ach, deshalb?« Alec fuhr sich mit der Hand über sein verbranntes Gesicht. »Das ist das Resultat eines ausnahmsweise schönen englischen Sommers. Aber was hat das alles für einen Sinn? Man kann der Wahrheit nicht entgehen, indem man vor ihr davonläuft.«
    »Nein. Es ist immer sinnlos davonzulaufen.«
    »Und hier auf dem Land wird einem das alles erst richtig klar – die unglaubliche Apathie der Menschen! Selbst Sally, die sehr intelligent ist, hat diese Einstellung. ›Wozu, soll man sich aufregen?‹ sagt sie immer. Das treibt mich noch zum Wahnsinn. Wozu soll man sich aufregen?«
    »Und warum regen Sie sich eigentlich so auf?«
    »Grundgütiger! Sie auch?«
    »Nein, ich will Ihnen keine Ratschläge geben, ich möchte nur Ihre Antwort hören.«
    »Begreifen Sie nicht, dass irgendjemand etwas unternehmen muss?«
    »Und Sie sind derjenige?«
    »Nein, nicht ich persönlich – in diesen Zeiten kann man die Dinge nicht persönlich nehmen.«
    »Warum nicht? Selbst in ›diesen Zeiten‹ ist man immer noch eine Person.«
    »Aber man sollte es nicht sein! In schweren Zeiten, wenn es um Leben und Tod geht, darf man nicht an seine eigenen unbedeutenden Krankheiten oder Sorgen denken.«
    »Ich versichere Ihnen, dass Sie Unrecht haben. Im Krieg, während eines schweren Luftangriffs, dachte ich viel weniger an den Tod als an ein schmerzendes Hühnerauge am kleinen Zeh. Ich war damals selbst darüber erstaunt, und ich sagte mir: ›Denk daran, dass der Tod jeden Augenblick kommen kann.‹ Aber ich konnte den Gedanken an das Hühnerauge beim besten Willen nicht verbannen, ja, ich war sogar beleidigt, dass ich außer der Todesgefahr auch noch Schmerzen aushalten musste. Und gerade, weil der Tod vielleicht ganz nahe war, bekam jede persönliche Kleinigkeit meines Lebens eine besondere Bedeutung. Ich habe einmal eine Frau nach einem Unfall mit gebrochenen Beinen auf dem Fahrdamm liegen sehen, aber sie fing erst an zu weinen, als sie eine Laufmasche in ihrem Strumpf entdeckte.«
    »Das beweist nur, wie töricht die Frauen sind.«
    »Das möchte ich nicht sagen; an solchen Zwischenfällen sieht man, wie die Menschen wirklich sind. Vielleicht hat die menschliche Spezies nur wegen ihres Interesses an den alltäglichen Kleinigkeiten den endgültigen Untergang überlebt.«
    Alec Legge lachte verächtlich.
    »Manchmal halte ich das für einen Jammer.«
    »Man könnte dieses Interesse auch Bescheidenheit oder sogar Demut nennen«, fuhr Poirot unbeirrt fort, »und Demut ist eine gute Eigenschaft. Während des Krieges gab es in England ein Schlagwort, das in Untergrundbahnen und Zügen zu lesen war: ›Alles hängt von dir ab.‹ Es war, soweit ich mich erinnere, von einem bedeutenden Geistlichen geprägt worden, aber nach meiner Meinung war es ein gefährliches und falsches Prinzip. Denn es stimmt nicht. Es hängt nicht alles von, sagen wir, der Hausfrau Smith ab; wenn man ihr das weismachen will, wird man ihren Charakter verderben. Während sie drüber nachdenkt, wie sie ihre Rolle im Weltgeschehen spielen kann, wirft ihr Baby den Kessel mit kochendem Wasser um.«
    »Ihre Ansichten sind ziemlich altmodisch, M. Poirot. Was wäre denn Ihr Schlagwort?«
    »Ich brauche kein neues Schlagwort zu
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