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Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Titel: Wiedersehen in Hannesford Court - Roman
Autoren: dtv
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erinnerte mich an seine freundlichen Augen, seine ruhige Art, die einem Vertrauen einflößte. Vielleicht war es nicht so unwahrscheinlich, wie es sich anhörte.
    »Genau. Von Harry, von Julian, alles. Und weißt du, was der Professor dann gemacht hat? Er ist zu Harry gegangen. Meinem ehrenwerten Bruder. Er fand ihn an jenem Nachmittag auf der Terrasse vor und schilderte genau, was Trevelyan Julia angetan hatte. Er sagte, er erwarte, dass Harry sich Julia gegenüber ehrenwert verhalte, und bestand darauf, dass Trevelyan öffentlich bloßgestellt wurde. Natürlich verlor Harry die Beherrschung und sagte dem Professor, er sei ein aufdringlicher Ausländer, der aufpassen solle, was er tue.«
    Ich erinnerte mich an den Streit auf der Terrasse, den ich mitgehört hatte, die lauten Stimmen, die wütenden Schritte, als jemand davonstapfte. Ich war mir nicht sicher gewesen, ob Reggie oder Harry die Beherrschung verloren hatte. Als ich dazukam, hatte der Professor erschüttert und durcheinander gewirkt …
    »Und natürlich«, fuhr Reggie fort, »erklärte Harry dem Professor, dass jeder, der einen englischen Gentleman eines Vergehens beschuldige, ihm dies ins Gesicht sagen müsse.«
    »Und das hat er getan? Hat der Professor Julian zur Rede gestellt?«
    Reggie zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Er hatte es jedenfalls vor. Doch an dieser Stelle brechen seine Notizen ab, am Abend vor dem großen Ball. Am nächsten Tag war er tot.«
    Die Auseinandersetzung auf der alten Brücke, ein alter Mann, der ins Gesicht geschlagen wird und im Dreck nach seiner Brille sucht … Ja, er hatte Julian zur Rede gestellt.
    Ich bemerkte, dass Reggie mich eindringlich ansah.
    »Du begreifst doch, was ich damit sagen will? Über Harry?«
    Ich muss wohl verständnislos ausgesehen haben, denn er verdrehte die Augen.
    »Die Sache ist die, Tom, Harry wusste Bescheid. Er wusste ganz genau, was Julian getan hatte. Der Professor hatte es ihm erzählt. Und er zog es vor, nichts zu tun.«
    Reggie schüttelte den Kopf.
    »Nein, eigentlich stimmt das nicht. Er hat etwas getan. Als der Professor starb, holte er das Notizbuch und versteckte es. Es muss seine erste Handlung gewesen sein, nachdem er gestorben war. Stell dir das vor! Er hat einen Toten bestohlen.«
    Er war blass vor Abscheu.
    »Er wusste Bescheid , Tom! Er wusste, was sein FreundJulian getan hatte. Und wie hat er reagiert? Indem er das Notizbuch versteckte! Er war sein Komplize. Seine eigene Schwester sollte diesen Mann heiraten, und er hat nichts unternommen. Der schöne, brillante Harry! Nichts Unerfreuliches durfte sein perfektes Leben stören. Er hätte mit Trevelyan brechen können, ihm die Leviten lesen, aber das wäre ja lästig gewesen, es hätte einen Skandal gegeben, und den wollte Harry um jeden Preis vermeiden. Es war doch viel einfacher, sich unwissend zu stellen und zu hoffen, dass sich alles irgendwie von allein finden würde.«
    »Und Trevelyan?« Ich wagte kaum zu fragen.
    Reggie fuhr sich mit der Hand über das verletzte Gesicht. Er sah unglaublich müde aus.
    »Ich wusste sofort, dass ich ihn umbringen würde. An dem Abend, an dem ich das Notizbuch fand, fiel meine Entscheidung. Ich würde nicht abwarten. Ich war sogar sehr ruhig dabei.«
    Er drückte seine Zigarette aus, tastete automatisch nach dem Etui und zündete sich die nächste an.
    »Ich wusste, dass Julian in London war. Ich hörte, dass er verletzt worden war, ziemlich schlimm, aber das war mir egal. Für mich zählte nur, dass er noch lebte. Für mich zählte nur, dass ich derjenige war, der ihn tötete. Am nächsten Morgen fuhr ich in die Stadt. Ich hatte noch ein paar Tage Urlaub. Ich nahm einige Seiten aus dem Notizbuch mit, dazu Julias Briefe, falls er versuchen sollte, es abzustreiten. Als ich bei den Trevelyans ankam, war die Familie nicht zu Hause, nur Julian und die Krankenpflegerin. Man führte mich natürlich sofort zu ihm.«
    Er zog an seiner Zigarette. Er mochte müde sein, doch dieser Teil des Berichts beunruhigte ihn nicht. Er wirkte seltsam friedlich.
    »Die Krankenschwester wollte mir erklären, wie krank er sei, doch ich hörte kaum hin. Ehrlich gesagt, ich war einfachnur ungeduldig. Je länger sie über Julians Zustand sprach, desto größer wurde meine Panik, er könnte sterben, bevor ich selbst Hand an ihn legte. Dann führte sie mich in sein Krankenzimmer und ließ mich mit ihm allein.«
    Unsere Blicke begegneten sich.
    »Es war wirklich jämmerlich. Ich hatte keine Ahnung gehabt.
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