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Wiedersehen in Barsaloi

Wiedersehen in Barsaloi

Titel: Wiedersehen in Barsaloi
Autoren: Corinne Hofmann
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bekommen, da würde ich das als 29-Jährige ja wohl auch hinbekommen.
    Aber nicht nur schöne Erinnerungen verbinden sich mit diesem Raum. Hier lag ich mit schwerer Malaria und war links und rechts an Infusionen angeschlossen. Die eine Flasche enthielt Blut, die andere wahrscheinlich eine Kochsalzlösung. Im Spital von Wamba habe ich so manches erlebt und habe überlebt und empfinde es im Moment wie ein Wunder, dass ich heute, fünfzehn Jahre später, so wohlgenährt und vollkommen gesund auf demselben Bett sitze.
    Wir werden weitergeführt zur Isolationsabteilung, die ich auch sehr gut von innen kenne. Sie wird gerade umgebaut, so dass die Räume nicht zu besichtigen sind. Die gesamte Abteilung sei verlegt worden, erfahren wir. Ich zeige Albert und Klaus, wo ich fünf Wochen in Isolation verbrachte und bei den täglichen Besuchszeiten von zahlreichen unbekannten Besuchern durch eine Scheibe beäugt wurde. Nur allzu gut erinnere ich mich an diese furchtbar einsame Zeit. Keine Menschenlaute, kein Vogelzwitschern, kein einziges Geräusch drang damals in meine Zelle. Dennoch wurde ich gesund.
    Wir gehen langsam zurück und ich frage unsere Begleiterin, welche Krankheiten heute am häufigsten behandelt werden. Die Schwester antwortet: »Verbrennungen und Komplikationen bei Geburten, verursacht durch die Beschneidung. Fast täglich sehe ich, welch schlimme Folgen Beschneidungen haben können. Selbst wenn sie nicht sofort eintreten, spätestens bei der ersten Geburt kommt es bei den meisten zu Problemen. Wenn die Mädchen verheiratet werden, sind sie manchmal kaum älter als zehn Jahre und bei der Entbindung dementsprechend zwölf oder dreizehn. In diesem Alter ist eine Geburt ohnehin gefährlich und dann kommt hinzu, dass die Vagina häufig völlig vernarbt und unelastisch ist. Einige junge Mädchen sterben oder behalten lebenslange Verletzungen zurück. Viele können ihr Harnwasser nicht mehr kontrollieren und werden deshalb von der Familie des Ehemannes verstoßen. Derart traurige Schicksale begegnen uns täglich. Obwohl die Beschneidung laut Gesetz in Kenia verboten ist, glaube ich, dass es noch lange dauern wird, bis diese Verstümmelung ein Ende hat, vor allem im Busch draußen, wo niemand kontrolliert und die Mädchen keine Rechte haben. Solange dort der Brauch besteht, dass die Mädchen nur jung und nur nach der Beschneidung geheiratet werden, fruchtet die Aufklärung nur langsam. In den Städten ist es schon besser. Besonders schlimm aber ist es, wenn ein unbeschnittenes, also noch unverheiratetes Mädchen schwanger wird. Dann wird alles versucht, das Kind abzutreiben. Die fürchterlichsten Methoden werden dabei angewandt, unter anderem flößen sie den Mädchen ein Gebräu aus Kautabak ein.«
    Das also ist der Grund, warum beim Abschiedsfest in Barsaloi alle so aufgeregt waren, als ich den Kautabak im Mund hatte.
    »Wenn alles nichts hilft«, fährt die Schwester fort, »wird das Mädchen trotz Schwangerschaft beschnitten. Der immense Blutverlust und die klaffende Wunde mit der meist anschließenden Infektion führen zum Abgang des Ungeborenen und manchmal sogar zum Tod der Mutter. Ich selbst bin halb Samburu und halb Kikuyu und wurde Gott sei Dank nicht mehr beschnitten.«
    Albert fragt sie nach dem Grund für dieses in unseren Augen grausame Ritual. Die Schwester erwidert, dass es sehr schwer sei, eine umfassende Antwort darauf zu geben. Eine Ursache sei sicher die Kraft der Tradition. Darüber hinaus glaube sie, dass die Männer annehmen, ihre Frauen würden durch die Beschneidung das Interesse an anderen Männern verlieren und dadurch folgsamer und kontrollierbarer sein. Hier müsse noch viel Aufklärungsarbeit geleistet werden und sie könne nur hoffen, dass es einmal besser wird. Die Tatsache, dass bei den Samburu im Gegensatz zu anderen Stämmen und Ländern nicht die schlimmste Form der Beschneidung durchgeführt wird, ist für mich in diesem Zusammenhang nur ein schwacher Trost.
    Ich denke an James, mit dem wir vor einigen Tagen, als wir einmal allein mit ihm waren, über dieses Thema geredet haben. Albert hatte ihn darauf angesprochen. Wir erfuhren von ihm, dass sich trotz der vielen Veränderungen in den letzten vierzehn Jahren bei der Beschneidung der Mädchen wenig getan hat. Auf die Frage, wie er selber dazu steht, antwortete er: »Das ist sehr schwer aus den Köpfen zu vertreiben, denn es ist eine tief verwurzelte Tradition. Ein Mädchen wird erst durch diesen Eingriff zu einer vollwertigen Frau.
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