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Wie Tyler Wilkie mein Leben auf den Kopf stellt und was ich dagegen tun werde: Roman (German Edition)

Wie Tyler Wilkie mein Leben auf den Kopf stellt und was ich dagegen tun werde: Roman (German Edition)

Titel: Wie Tyler Wilkie mein Leben auf den Kopf stellt und was ich dagegen tun werde: Roman (German Edition)
Autoren: Shelle Sumners
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los, und mein Freund Steven war inzwischen wahrscheinlich von der Arbeit nach Hause gekommen.
    »War nett, dich wiederzusehen, Tyler. Ich finde, du hast eine gute Stimme.«
    »Danke, Grace«, antwortete er höflich.
    Ich wandte mich zum Gehen, aber er zupfte mich am Ärmel. »Deine Augen haben genau dieselbe Farbe wie dein Pullover«, stellte er fest.
    Ich sah an mir hinunter. Fast richtig. Blaugrau.
    »Und dein Gesicht hat die Form von einem Herz«, fügte er hinzu.
    Was für eine charmante Art von Smalltalk! »Ach, wirklich?«
    »Ja. Ist mir schon heute Morgen aufgefallen.« Ohne mich zu berühren, folgte er mit einem Finger den Konturen meiner Wange.
    »Jetzt muss ich aber wirklich gehen.«
    Er steckte die Hände in die Hosentaschen. »Okay, Grace Barnum. Bis bald.«

    Ich hakte mich bei Ed unter, als wir die Columbus entlanggingen. Die Temperatur musste seit heute Morgen um fünf Grad gefallen sein.
    »Die Sache mit dem Gesundheitslehrbuch liegt mir schwer im Magen, Ed. Angenommen, wir wären Teenager in Texas?«
    »Ich war mal einer.«
    »Und woher hast du etwas über Kondome gelernt?«
    »Vom Hörensagen«, antwortete Ed achselzuckend.
    »So ein Schwachsinn! Die Leute sind gegen Abtreibung, wollen aber auch nicht, dass die Jugendlichen erfahren, wie man verhütet!«
    »Mädchen, ich bin auch nicht gerade glücklich damit!«
    »Und Vorstellung! Ich meine – wie kommen die denn bloß darauf? Warum spielen wir bei dieser Farce mit?«
    »So ist es nun mal.«
    »Und was ist mit Bill? Es scheint ihn überhaupt nicht zu interessieren! Ist ihm denn alles egal?«
    »Er muss eben Geld verdienen.«
    »Das ist widerlich!«
    »Wenn du Bill gegenüber zu aufsässig wirst, versetzt er dich in das Büro drüben in New Jersey, und ich würde dich vermissen.«
    Ich seufzte. »Es fühlt sich einfach so absolut falsch an, Ed.«
    »Jetzt hör mir mal gut zu. Natürlich wollen wir den Kindern helfen, aber zuerst müssen wir die Sauerstoffmaske über unsere eigene Nase ziehen.«
    »Wie bitte?«
    »Du weißt schon, die Sicherheitsinstruktionen im Flugzeug …«
    »O Mann, du gehst mir echt auf den Geist!«
    »Aber du musst dich damit abfinden, Grace. Wir können diese Leute nicht ändern.«
    Dass er so einfach aufgab, trieb mich in den Wahnsinn. Doch Ed war in Texas aufgewachsen und damals, Ende der Siebziger, als Teenager schwarz und schwul zu sein, musste ihn geprägt haben. Vermutlich war er sein Leben lang dazu gezwungen gewesen, Ungerechtigkeiten zu schlucken und daran zu reifen, anstatt daran zu ersticken. Meine Kindheit war auch kein Zuckerschlecken gewesen, aber meine Mutter hatte immer aus allem das Beste gemacht, und ich würde nicht so leicht über die Wortklauberei der einflussreichen Bigotten hinwegkommen.
    Wir verabschiedeten uns an der Ecke 79th Street und Columbus.
    »Grace!«
    Ich drehte mich um. Es war Tyler Wilkie, eine Querstraße hinter mir. Ich wartete, bis er mich eingeholt hatte.
    »Hi«, sagte ich.
    »Hey.«
    Er trug seine Armeejacke, seine Strickmütze und eine Gitarre in einer Segeltuchtasche auf dem Rücken. »Bist du unterwegs nach Hause?«
    Ich nickte.
    »Du solltest lieber nicht alleine gehen«, meinte er. »Komm, ich begleite dich.«
    »Danke, aber das ist wirklich nicht nötig«, versicherte ich ihm. »Ich bin meistens allein unterwegs.«
    »Ich muss sowieso in diese Richtung.«
    Achselzuckend ging ich weiter.
    Er hielt mit mir Schritt, und ich sah ihn von der Seite an. »Du spielst auch Gitarre?«
    »Ja. Meistens eigentlich. Aber wenn ein Klavier oder so da ist, begleite ich mich darauf.«
    Unser Atem bildete weiße Wölkchen. Ich wickelte meinen Wollschal noch einmal um den Hals und zog ihn über die Ohren. »Kommst du aus Texas?«
    Er lachte. »Nein!«
    »Woher denn?«
    »Aus den Poconos, Monroe County. Warum?«
    »Na ja, du klingst ein bisschen … als kämst du aus den Südstaaten, irgendwo vom Land oder so.«
    »Vielleicht verwechselst du unseren Pennsylvania-Kleinstadtdialekt mit Südstaatenslang.«
    »Kann schon sein. Und jetzt wohnst du in der Stadt?«
    »Ja, genau, und zwar seit sechs Tagen.« Ich sah ihn an, wahrscheinlich ein bisschen skeptisch, und er lächelte. »Du bist bei weitem der netteste Mensch, der mir bis jetzt begegnet ist.«
    Ich lachte. »Seit sechs Tagen? Ist das dein Ernst?«
    »Mein voller Ernst.«
    »Warum bist du hergekommen?«
    »Um herauszufinden, ob sich die Leute meine Musik anhören wollen. Und um mit Auftritten ein bisschen Geld zu verdienen.« Er sah mich an.
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