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Wie man im digitalen Zeitalter richtig aufblueht

Wie man im digitalen Zeitalter richtig aufblueht

Titel: Wie man im digitalen Zeitalter richtig aufblueht
Autoren: Tom Chatfield
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sein, zu den neuen Technologien sowohl »ja« als auch »nein« zu sagen. Sonst riskieren wir, dass sich ihre Segnungen in Fallstricke verwandeln.

3 Die Kontrolle nicht verlieren

1.
    Noch vor einem Jahrzehnt hätten wenige Leute vorhersagen können, welch zentrale Rolle die Textbotschaft in einer Kultur von Smartphones, frei verfügbarem Internetzugang und Tablets einmal einnehmen würde. Einer Nielsen-Forschung zufolge, bei der die Rechnungen von über 60 000 amerikanischer Handynutzer und 3000 verschiedene Kundenprofile ausgewertet wurden, sandten und empfingen amerikanische Teenager 2010 jeden Monat durchschnittlich 3339 Textbotschaften – die Spitze bildeten Mädchen zwischen 13 und 17 mit über 4000. Daraus ergaben sich etwa 133 Textbotschaften pro Tag, also mehr als sieben in jeder wachen Stunde des Jahres.
    Das vorangegangene Kapitel befasste sich damit, welch verblüffend großen Raum die Mediennutzung im Leben vieler Menschen inzwischen einnimmt. Mit der daraus entstehenden Komplexität geht ein Zwang zur Vereinfachung einher, zur Regulierung des endlosen Kommunikationsflusses, der uns überflutet. In diesem Sinne ist die Kurznachricht eines der besten Instrumente, die für unser Zeitalter des Informationsüberflusses bislang entwickelt wurden, gibt es doch kaum eine einfachere Form digitaler Interaktion als nackte Zahlen und Buchstaben. Erdacht, geschrieben und überarbeitet in der Geschwindigkeit des Absenders, gibt ein fertiger Text nichts über seine Entstehung preis: keine Verzögerungen, Ablenkungen, Fehler oder unbeabsichtigten Fettnäpfchen. Er ist gleichzeitig unmittelbar und asynchron, benötigt Aufmerksamkeit, fordert sie aber nicht ein. Er verlangt von allen Beteiligten im Grunde so wenig wie möglich.
    Die Bedeutung der Kurznachricht fußt auf einer leicht zu übersehenden Wahrheit: Die theoretischen Möglichkeiten einer Technologie sind weitaus weniger wichtig als Faktoren wie Bequemlichkeit oder Kontrolle. Wenn sich daraus eine Warnung ableiten lässt, dann die, dass wir durch unser wachsendes Bedürfnis nach Bequemlichkeit riskieren, in einem ganz anderen Sinne die Kontrolle zu verlieren – nämlich die Möglichkeit, von uns und anderen mehr als nur ein vereinfachtes Minimum zu verlangen.
    In George Clooneys Politdrama Tage des Verrats aus dem Jahre 2011 werden die Bettgeschichten eines Präsidentschafts-Wahlkampfteams andauernd durch aktuelle Nachrichten, piepsende Blackberrys und E-Mails unterbrochen. Ein bissiger Humor, der ein Phänomen unserer Zeit karikiert – eines, dem in zunehmendem Maße nicht mehr nur hochrangige Politaktivisten ausgesetzt sind. Tausende eingehender Textbotschaften und ständige digitale Updates haben wenig übrig für irgendwelche Einteilungen von Raum und Zeit, mit denen wir unseren Tag gerne strukturieren würden. Wie Clooneys Politprofis mögen wir feststellen, dass wir die »Bedürfnisse« unserer Maschinen über unsere eigenen stellen.
    Ich habe bereits dargelegt, wie wichtig es ist, zwischen Online- und Offline-Zeit als zwei völlig verschiedenen Ressourcen in unserem Leben zu unterscheiden. Das ist leicht gesagt, aber wesentlich schwerer getan. Trotzdem ist es auf vielen Ebenen lebensnotwendig, zwei verschiedene Zeitarten für zwei verschiedene Daseinsformen zu etablieren: nicht nur in dem Sinne, wann man sich aus Internet und Medienangebot ausklinkt, sondern als Unterscheidung zweier ganz unterschiedlicher Maximen: erstens, ein technologisches System bestmöglich zu nutzen, und zweitens, das Leben selbst bestmöglich zu leben.
    Nehmen wir einmal eines der verräterischsten Worte unserer Zeit, das sogenannte »Multitasking«. In diesem Begriff steckt ein Irrtum, der unser modernes Leben charakterisiert: die Annahme, eine der größten Errungenschaften der digitalen Technologie wäre die Möglichkeit, mehrere Arten von Aufgaben gleichzeitig zu erledigen, weshalb wir am effizientesten wären, wenn wir mehrere Aktivitäten miteinander verbinden.

    Multitasking fällt uns nicht leicht. Können Sie sich gleichzeitig auf Vase und Gesicht fokussieren?
( Vase/Gesicht-Illusion © John Woodcock / iStockphoto)
    Im März 2007 war dies Thema eines Artikels in der New York Times . Unter der Überschrift »Machen Sie langsam, wackerer Multitasker, und lesen Sie diesen Beitrag nicht im Straßenverkehr« – die den Inhalt des Artikels recht treffend auf den Punkt brachte – präsentierte der Text unmissverständliche Aussagen von David E. Meyer,
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