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Wie man einen verdamt guten Roman schreibt (Teil 2)

Wie man einen verdamt guten Roman schreibt (Teil 2)

Titel: Wie man einen verdamt guten Roman schreibt (Teil 2)
Autoren: James N. Frey
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hatten, sie zu entehren.« Doch der Richter läßt die beiden jungen Männer mit einem Urteil auf Be- währung davonkommen. Puzos Erzähler beschreibt das so:
    Seit vielen Jahren, solange er in Amerika war, hatte Amerigo Bonasera Vertrauen in Gesetz und Ordnung gehabt. Er war dadurch zu Wohlstand gelangt. Nun, obwohl wilde Visionen vom Kauf eines Revolvers und Mord an den beiden jungen Männern durch sein haßerfülltes Gehirn zuckten, wandte er sich an seine Frau, die die Vorgänge nicht begriffen hatte, und sagte. »Sie haben uns zum Narren gemacht.« Er hielt inne und faßte dann seinen Entschluß. Jetzt hatte er keine Angst mehr vor dem Preis. »Wenn wir Gerechtigkeit wollen, müssen wir zu Don Corleone gehen - auf unseren Knien.«
    Natürlich hat der Leser Mitleid mit Mr. Bonasera, der nichts weiter will als Gerechtigkeit für seine Tochter. Und da Mr. Bonasera zu Don Corleone gehen muß, um Gerechtigkeit zu bekommen, wird unsere Sympathie auf Don Corleone übertragen, den Mann, der für Ge- rechtigkeit sorgt. Durch Sympathie schmiedet Puzo eine positive emotionale Beziehung zwischen dem Leser und Don Corleone, indem er nämlich eine Situation herstellt, in der sich der Leser mit Don Corleones Ziel identifiziert, dem armen Mr. Bonasera und seiner un- glücklichen Tochter Gerechtigkeit zu verschaffen.
    In einer etwas späteren Szene verstärkt Puzo die Identifizierung des Lesers mit Don Corleone, indem er »den Türken« mit einem Drogendeal an ihn herantreten läßt und der Don - aus prinzipiellen Gründen -ablehnt; dadurch identifiziert sich der Leser noch stärker mit Don Cor- leone. Indem er dem Don einen persönlichen Ehrenkodex gibt, hilft Puzo dem Leser, seine Abscheu gegen Verbrecherbosse zu vergessen. Statt Don Corleone zu verabscheuen, schenkt der Leser ihm volle Sympathie, identifiziert sich mit ihm und unterstützt seine Sache.
    EMPATHIE
    Obwohl der Leser Sympathie für eine Figur hegt, die beispielsweise unter Einsamkeit leidet, kann er diese Einsamkeit eventuell nicht nachempfinden. Doch wenn ihm die Möglichkeit geboten wird, sich in die Figur hineinzuversetzen, wird er fühlen, was die Figur fühlt. Empathie ist eine viel stärkere Empfindung als Sympathie.
    Manchmal, wenn bei einer Frau die Wehen einsetzen, spürt ihr Mann die gleichen Schmerzen. Das ist ein Beispiel für Empathie. Der Mann hat nicht nur Mitgefühl, er versetzt sich so stark in seine Frau hinein, daß er tatsächlich körperlichen Schmerz empfindet.
    Nehmen wir mal an, Sie gehen zu einer Beerdigung. Sie kannten den Verstorbenen, einen gewissen Herman Weatherby, nicht. Er war der Bruder Ihrer Freundin Agnes. Ihre Freundin trauert, Sie nicht. Sie kannten Herman ja noch nicht mal. Ihnen tut Agnes leid, weil sie so traurig ist.
    Der Trauergottesdienst hat noch nicht begonnen. Sie gehen mit Agnes auf dem Friedhof spazieren. Sie fängt an, Ihnen zu erzählen, was ihr Bruder Herman für ein Mensch war. Er machte eine Ausbildung als Krankengymnastiker, um behinderten Kindern zu helfen, laufen zu lernen. Er hatte einen wunderbaren Sinn für Humor, konnte ausgezeichnet Richard Nixon

parodieren und warf auf dem College mal einem Professor, der ihm eine schlechte Note gegeben hatte, eine Torte ins Gesicht. Herman war offenbar ein lustiger Typ.
    Während Agnes ihren Bruder auf diese Weise wieder lebendig werden läßt, damit Sie eine Vorstellung von ihm bekommen, empfinden Sie allmählich etwas, das über Mitgefühl hinausgeht. Sie beginnen zu spüren, welch einen Verlust der Tod dieses intelligenten, kreativen und leicht exzentrischen Mannes für seine Mitmenschen bedeutet - Sie fangen an, sich in ihre Freundin hineinzuversetzen und deren Trauer nachzuempfinden. Das ist die Kraft der Empathie.
    Wie bringt nun ein Romanschriftsteller seine Leser dazu, Empathie zu empfinden?
    Mal angenommen, Sie schreiben eine Geschichte über Sam Smoot, einen Zahnarzt. Sam ist ein Spieler. Er verliert zwei Millionen Dollar an einen Gangster und ist ruiniert. Seine Familie ist ebenfalls ruiniert. Wie bekommen Sie den Leser dazu, sich in ihn hineinzuversetzen? Der Leser hat vielleicht Mitleid mit seiner Familie, vielleicht meint er aber auch, daß Sam sich das alles selbst eingebrockt hat.
    Dennoch kann man Empathie erzeugen.
    Das tun Sie mit Hilfe der Kraft der Suggestion. Sie benutzen sinnliche und gefühlsbetonte Details, die dem Leser suggerieren, wie es ist, Sam zu sein und durchzumachen, was er durchmacht. Mit anderen Worten, Sie legen die Welt Ihrer
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