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Wie man einen verdamt guten Roman schreibt (Teil 2)

Wie man einen verdamt guten Roman schreibt (Teil 2)

Titel: Wie man einen verdamt guten Roman schreibt (Teil 2)
Autoren: James N. Frey
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fast mystisch. Und in gewisser Weise ist es das auch.
    Wenn die Kraft der Suggestion von einem Hypnotiseur angewandt wird, ist das Ergebnis eine Trance. Der Hypnotiseur setzt Sie auf einen Stuhl und läßt Sie auf einen glänzenden Gegenstand schauen, zum Beispiel einen Anhänger. Der Hypnotiseur läßt den Anhänger sanft hin und her pendeln und sagt mit monotoner Stimme: »Ihre Augenlider werden schwer, Sie spüren, wie sie immer entspannter werden, immer entspannter, während Sie meiner Stimme lauschen… Während Ihre Augen sich langsam schließen, stellen Sie fest, daß Sie auf einer Treppe sind, die immer tiefer hinabführt, immer tiefer, bis zu einem Ort, an dem es dunkel und still ist, dunkel und still…« Und erstaunlicherweise stellen Sie fest, daß Sie sich immer entspannter fühlen.
    Der Hypnotiseur fährt fort: »Sie gehen über einen Weg in einen wunderschönen Garten. Hier ist es ruhig und friedlich. Es ist ein träger Sommertag, die Sonne scheint, ein warmer Wind weht, die Magnolien stehen in voller Blüte …«
    Während der Hypnotiseur diese Worte ausspricht, erscheinen die Objekte, die er erwähnt, auf

einer Leinwand in Ihrem Kopf - der Garten, der Weg, die Magnolien. Sie erleben den Wind, die Sonne, den Duft der Blumen. Sie sind jetzt in Trance.
    Der Romanautor benutzt genau die gleichen Mittel, um den Leser in den fiktiven Traum zu versetzen. Der Romanautor setzt nämlich bestimmte Bilder ein, die eine Szene auf der Leinwand im Kopf des Lesers erzeugen. Bei der Hypnose ist der Protagonist der kleinen Ge- schichte, die der Hypnotiseur erzählt, ein »Sie« oder »du«, und damit das Subjekt. Der Romanschriftsteller kann auch »Sie« oder »du« verwenden, aber üblicherweise benutzt er »ich« oder »er« oder »sie«. Die Wirkung ist die gleiche.
    Die meisten Bücher über das Schreiben von Romanen raten dem Autor, »zu zeigen, nicht zu erzählen.« Ein Beispiel für Erzählen ist folgendes: »Er ging in den Garten und fand ihn sehr schön.« Der Autor erzählt, wie es war, und zeigt nicht wie es war. Ein Beispiel für »zeigen« sähe so aus: »Bei Sonnenuntergang betrat er den stillen Garten. Er spürte den sanften Wind durch die Zweige der Stechpalmen wehen und roch den starken Duft von Jasmin in der Luft.« Wie John Gardner, wiederum in The Art of Fiction, sagt, sind »lebendige Details das Herz jeder Erzählung… der Leser wird regelrecht mit Beweisen versorgt - in Form von genau beobachteten Details … es sind nämlich die konkreten Einzelheiten, die uns in eine Geschichte hineinziehen, die sie uns glaubwürdig machen.« Wenn ein Autor etwas »zeigt«, suggeriert er die sinnlichen Details, die den Leser in den fiktiven Traum ziehen. »Erzählen« hingegen reißt den Leser aus dem fiktiven Traum, weil es von ihm verlangt, daß er bewußt analysiert, was erzählt wird, und das versetzt den Leser in einen Wachzustand. Es zwingt den Leser zu denken, nicht zu fühlen.
    Das Lesen von Romanen ist also wie ein Traum auf der unterbewußten Ebene. Deshalb ist den meisten sensiblen Menschen die wissenschaftliche Betrachtung von Literatur zuwider. Literaturwissenschaftler versuchen etwas rational und logisch zu erklären, was einen lediglich in einen Traum versetzen will. Moby Dick zu lesen und dabei die Metaphorik zu analysieren bedeutet, es im Wachzustand zu lesen. Der Autor hingegen möchte, daß der Leser ganz in die Welt der Geschichte eintaucht, daß er mit der Pequod auf der Suche nach einem Wal auf eine Reise um den halben Erdball geht und sich nicht daran festbeißt herauszufinden, wie der Autor es gemacht hat, oder nach einer versteckten Bedeutung der Symbole sucht, als ob das Ganze ein Versteckspiel zwischen Autor und Leser wäre.
    Nachdem der Autor ein Gemälde aus Worten für den Leser geschaffen hat, besteht der nächste Schritt darin, den Leser emotional einzubeziehen. Das geschieht, indem man das Mitgefühl des Lesers weckt.
    SYMPATHIE UND MITGEFÜHL
    Das Thema Sympathie wird von den Verfassern von Anleitungen zum Romanschreiben häufig nur am Rande behandelt. Dabei ist für das Auslösen des fiktiven Traums entscheidend, daß Sie im Leser Sympathie für Ihre Figuren erwecken. Und wenn die Sache mit dem fiktiven Traum nicht klappt, dann haben Sie keinen verdammt guten Roman geschrieben.
    Sympathie ist ein häufig mißverstandener Begriff. Einige Verfasser von Anleitungen zum Romanschreiben haben eine Pseudoregel aufgestellt, die besagt, daß der Leser nur dann Sympathie für eine
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