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Wie keiner sonst / ebook (German Edition)

Wie keiner sonst / ebook (German Edition)

Titel: Wie keiner sonst / ebook (German Edition)
Autoren: Jonas T. Bengtsson
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ausgeschnitten mit stumpfen Scheren und zitternden Händen.
    In einem Gemeinschaftsraum sitzt ein Mann mit Badekappe vor einem Klavier.
    Der Pfleger legt die Hand auf seine Schulter.
    »Was meinst du, können wir ein Weihnachtslied hören?«
    Der Patient dreht den Kopf ein wenig, aber nicht genug, dass er uns sehen könnte. Ein langer Speicheltropfen hängt von seiner Unterlippe bis fast auf die Tasten herab.
    »Oder wenigstens Für Elise , das kennen auch alle.«
    Der Mann greift willkürlich in die Tasten. Das Klavier müsste gestimmt werden.
    Der Pfleger klopft ihm auf die Schulter. »Ich komme gleich wieder, dann bringe ich dich auf dein Zimmer.«
    Wir gehen weiter.
    »In diesem Job muss man einfach Humor haben, sonst hält man es nicht aus.«
    Das Licht ist gedämpft, wir treffen weder Patienten noch andere Pfleger in den Gängen.
    »Sie wollen Ihren Vater besuchen?«
    »Ja.«
    »Er hat sicher ziemlich viel Medikamente bekommen.Nur damit Sie sich nicht fragen, was heute mit ihm los sei.«
    Er zieht die Schlüsselkarte aus der Tasche und öffnet eine weitere Schleuse.
    »Während der Feiertage ist es hier total unterbesetzt, deshalb stopfen sie die Patienten mit Medikamenten voll. Ich bin sonst nie auf dieser Abteilung, aber heute könnte ein kleiner Junge mit einem Stock auf sie aufpassen. Die Nachtwachen müssen zwar mehr vollgepisste Unterwäsche wechseln, aber das ist ja kein Problem, wenn sie so zahm sind.«
    Er schließt die Tür auf, mein Vater sitzt auf dem Bett, an die Wand gelehnt.
    Ich ziehe ihn an. Stecke seine nackten Füße in die Gummischuhe und binde sie zu. Dem Pfleger sage ich, dass wir draußen spazieren gehen wollen. Er schließt uns einen Seiteneingang auf, damit wir nicht bis zur Rezeption zurückmüssen.
    Die Bewegungen meines Vaters sind schlaff, er schlurft über den Rasen, tritt in einen Maulwurfshügel und sinkt in die Knie. Ich helfe ihm auf, er nuschelt, spricht nur halbe Sätze, seine Lippen sind so weich, dass ich befürchte, er könne sie zerkauen.
    Nach ein paar Minuten hat ihn die kalte Luft ein wenig aufgeweckt.
    »Wohin gehen wir?«, fragt er.
    »Wir gehen hinaus in den Wald, Vater.«
    »Ja«, sagt er. »Hinaus in den Wald.«
    Kurz bevor wir die Straße erreichen, frage ich ihn, ob uns jemand beobachtet.
    »Nein«, antwortet er, ohne sich umzudrehen. »Heute nicht.«
    Wir warten auf den Bus. Niemand kommt, um uns aufzuhalten.
    Ich kaufe zwei Fahrkarten, habe es passend. Der Bus ist fast leer. Ich führe meinen Vater in die hinterste Reihe, lehne ihn an die kalte Scheibe.
    Die Busfahrt dauert gut zwanzig Minuten.
    Als ich die ersten Bäume sehe, weiß ich, dass wir an der nächsten Haltestelle aussteigen müssen.
    Ich will gerade den Halteknopf drücken, da spüre ich die Hand meines Vaters auf meinem Arm.
    »Darf ich?«, fragt er. Es gelingt beim dritten Versuch.
    »Verdammt lang her«, sagt er.
    Die Haltestelle liegt am Waldrand. Wir gehen kurz die Straße entlang, die Scheinwerfer eines Autos blenden uns, dann ist es schnell verschwunden.
    Wir gehen über einen Parkplatz, vorbei an einem Autowrack ohne Kennzeichen. Alle Scheiben sind eingeschlagen.
    Eine Tafel beschreibt die Wanderwege und Sehenswürdigkeiten und warnt vor Zecken. Hunde seien an der Leine zu führen. Nach zehn Minuten biegen wir nach links auf einen schmalen Pfad ab. Er ist fast überwuchert, man muss ihn kennen, um ihn zu finden. Ich schiebe die Zweige zur Seite.
    Mein Vater verheddert sich im dichten Unterholz, ich bücke mich und befreie seine Füße.
    Wir überqueren eine kleine Lichtung, auf dem Boden liegen nasse, verkohlte Zweige, umgeben von leeren Bierdosen, die Überreste eines Lagerfeuers.
    Dann stehen wir am Seeufer. Das Wasser vor uns ist schwarz.
    »Heute brauchen wir keinen Frosch, Vater. Wir kommen selbst ans andere Ufer.«
    Ich nehme seine Hand. Er folgt mir.
    Das kalte Wasser dringt durch unsere Schuhe.

I ch lasse mich in den Sitz fallen und decke mich mit der Jacke zu. Ein Brummen und Knirschen, dann fährt der Zug los. Es ist kurz nach sechs am Morgen des ersten Weihnachtstages.
    Der Zug verlässt die Stadt. Mietshäuser, Reihenhäuser, Einfamilienhäuser und Villen ziehen vorbei. Die Fenster sind dunkel, nur in einigen leuchten Weihnachtsbäume. Der Zug hält an leeren Bahnhöfen.
    In ein paar Tagen wird Elsebeth sich fragen, wo ich stecke. Sie wird lange brauchen, um die Treppe hinaufzukommen. Sie wird anklopfen, obwohl die Tür nur angelehnt ist, dann wird sie den Zettel finden. Die
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