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WIE GUT IST IHRE ALLGEMEINBILDUNG

WIE GUT IST IHRE ALLGEMEINBILDUNG

Titel: WIE GUT IST IHRE ALLGEMEINBILDUNG
Autoren: Martin Doerry/Markus Verbeet (Hg.)
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ich aus der Übung bin, aber nicht notwendig. Andere Fachgebiete sind genau- so wichtig. Dennoch: Latein ist wieder so etwas wie ein Alleinstellungsmerkmal für Bildung geworden. Heute fragt zwar niemand mehr nach humanistischen Vorkenntnissen. Durch Testfragen erkennt man aber Klassiker-Bildung – an einem lateinischen Zitat oder in einer Anspielung auf »Faust«. Wissen Sie, womit ich gerechnet hatte?

    Sagen Sie’s uns.
    Dass Sie mir eine hypermoderne Eingangsfrage stellen: Was ist »Gruscheln«? Zwei Drittel der Studierenden könnten Ihnen das beantworten. Unter meinen Kollegen aber würde gelinde Empörung herrschen, dass sie mit solchen Neologismen behelligt werden.

    Wir halten fest, dass Sie wissen, dass »Gruscheln« ein freundschaftlicher oder flirtender Gruß bei studiVZ ist. Aber was bedeutet das für die Bildung und das Wissen der Studenten von heute?
    Bildung ist immer auch eine Generationenfrage. Meinen Studenten kann ich schon nicht mehr mit Asterix oder Lucky Luke kommen, Details hieraus sind bei jungen Leuten nicht bekannt. Sie haben auch einen anderen Zugang zu Wissen. Instrumente wie Wikipedia haben die Diskussion beschleunigt, das Googeln erleichtert flüchtige Recherche. Heute gehen Studierende weitaus unbefangener damit um, was ihnen an Ressourcen zugänglich ist. Bei mir steht noch eine Encyclopaedia Britannica im Regal. Die interessiert meinen Sohn, er ist 22, nur beiläufig. Er ist der Ansicht: Die im Internet versammelte Schwarmintelligenz weiß doch eh mehr – außer natürlich beim eigenen Fachreferat.

    Schauen Sie nie etwas im Internet nach?
    Es kommt darauf an, was ich wissen will. Wenn ich mich schnell informieren muss über Dinge, die gerade im Schwange sind, dann schaue ich auch bei Wikipedia vorbei. Aber auf keinen Fall, wenn ich annehme, dass sich traditionelles Wissen seit zehn Jahren nicht verändert hat.

    Die Enzyklopädien sind allerdings sehr träge. Bei Wikipedia gab es schon nach wenigen Minuten einen aktualisierten Eintrag über Karl-Theodor zu Guttenberg, als er Wirtschaftsminister werden sollte.
    Ja, aber doch mitsamt Wilhelm, dem eingeschmuggelten Vornamen! Das ist ein bezeichnender Fehler, nur Leichtgläubige vertrauen Wikipedia.

    Ihre Studenten auch?
    Es gibt Studierende, die dergleichen als einzige Quelle für einen Essay nutzen. Den gebe ich sogleich zurück und sage: Seien Sie froh, dass ich nicht noch überprüfe, wie viel Sie wörtlich abgeschrieben haben.

    Wie häufig haben Sie mit solchen Studenten zu tun?
    Öfters. Mir hat mal eine Studierende ein nahezu entwaffnendes Argument vorgehalten: »Sie sagen doch immer, man soll es so präzise und so gut wie möglich ausdrücken, und der Autor hat es so schön geschrieben, das kann ich nicht besser, also übernehme ich es.« Leider ohne zu zitieren – und ich fühle mich geradezu scholastisch übers Ohr gehauen.

    Warum tun Sie nichts dagegen?
    Ich habe zu viel auf dem Tisch und kann manchmal nur Stichproben machen. Schönen Gruß übrigens von meinem Sohn, der beim Studenten-Pisa mitgemacht hat: Einen Teil der Lösungen hätte man auch gleichzeitig bei Wikipedia finden können – rein theoretisch, versteht sich.

    Aber man hätte sehr schnell sein müssen, weil die zur Verfügung stehende Zeit begrenzt war. Ist es denn heute überhaupt noch möglich, einen umfassenden Überblick über das Wissen der Zeit zu gewinnen? VieleWissenschaftler haben sich doch in ihre Spezialgebiete so verrannt, dass schon Kollegen aus Nachbardisziplinen nicht mehr mitreden können.
    Fachchinesisch hat es schon zu meiner Studentenzeit gegeben, aber Sie haben Recht. Vor wenigen Wochen habe ich eine Rekonstruktion des hochmittelalterlichen Bologna gesehen. Da sah es aus wie heute in Frankfurt am Main: Hochhaus neben Hochhaus, und in jedem lebte ein Geschlecht für sich. So kommt mir unsere Wissensgesellschaft mittlerweile vor.

    Es gab gar keinen Austausch?
    Man ging manchmal auf den Marktplatz, ansonsten blieb man hermetisch, und wenn man sich bekämpfen wollte, hat man Latten von Zinne zu Zinne gelegt und in schwindelnder Höhe seine Kämpfe ausgefochten. Genauso ist es heute – so viele Geschlechtertürme, aber wir haben vergessen, Piazzen anzulegen. Wo sind die Plätze fürs Volk, auf denen wir uns treffen?

    Die Universität wäre der geborene Platz dafür.
    Ach, da herrscht vielfach der Zeit und Kraft fressende sacro egoismo jedes einzelnen Fachs. Außerdem steckt die Universität doch inzwischen in ganz anderen Zwängen als
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